Resilienz im Kontext Arbeit

Wie können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre individuelle Resilienz (Stress-Widerstands-Kraft) stärken? Was können Vorgesetzte tun? Transparente Kommunikation sowie eine gute Life-Domain-Balance tragen dazu bei, negative Stressbelastungen zu minimieren.

Gemäss dem Programm "Guarding minds at work" gibt es vier zentrale Aspekte, mit welchen Arbeitgeber die psychische Gesundheit von Mitarbeitenden stärken können.

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Stress und Resilienz

In den letzten sechzig Jahren gab es in der Wissenschaft grosse Anstrengungen, komplexe Stressreaktionen sowohl psychologisch wie auch bezüglich körperlicher Begleitreaktionen besser zu verstehen. Gemäss aktuell gültigen psychologischen Modellen kommt der subjektiven Einschätzung der Problemkonstellation entscheidende Bedeutung zu. Solange ein Betroffener glaubt, das Problem bewältigen zu können, stellt dieses Problem zwar eine Herausforderung dar, die aber positiv angegangen werden und sogar gesundheitsfördernde Wirkung haben kann. Sobald ein Betroffener sich jedoch als überfordert erlebt, kann das psychische und körperliche System kippen – es kommt zu einer krankheitsfördernden sogenannten Distress-Reaktion. Hier zeigen sich individuell unterschiedliche Symptome, wobei initial häufig Unruhe, Gereiztheit oder Angstsymptome auftreten. Erste körperliche Stresssymptome zeigen sich in Schlafproblemen, Verdauungsstörungen oder schmerzhaften Muskelverspannungen. Falls eine Überforderung länger andauert, führt dies zu einem Burnoutsyndrom mit Symptomen wie Depression, Erschöpfung und Antriebslosigkeit. Hinzu kommen häufig auch körperliche Symptome wie chronische Schmerzen, Herzprobleme, Störungen des Magen-Darmtraktes oder auch gehäuften Infekten.

Ursachen unterschiedlicher Stress-Resilienz

Bereits in den 1950er-Jahren konnte Ami Werner in Untersuchungen auf Hawaii belegen, dass die liebevolle Zuneigung mindestens einer erwachsenen Bindungsperson die Basis für die Fähigkeit darstellt, die Anforderungen des Lebens zu meistern. Mit dem Konzept der sogenannten Salutogenese lieferte der israelische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky in den 1970er-Jahren – gestützt auf breite wissenschaftliche Untersuchungen – den aktuell gültigen Verständnisrahmen für die individuellen Unterschiede in der Stress-Resilienz.

Grundlegend ist der sogenannte Kohärenzsinn, der folgende drei Bereiche umfasst:

  • Verstehen – äussere und innere Reize werden als verständlich eingeschätzt
  • Kontrolle – äussere und innere Reize werden als kontrollierbar eingeschätzt
  • Sinnhaftigkeit – die Anforderungen des Lebens werden als emotional erfüllend und sinnvoll eingeschätzt

Die Basis des individuellen Kohärenzsinns wird bis zur Adoleszenz gelegt. In den letzten Jahrzenten zeigten umfassende wissenschaftliche Studien in unterschiedlichen Berufskontexten auf, dass eine starke Ausprägung des Kohärenzsinns mit langfristig besserer Gesundheit beziehungsweise weniger Krankheitsausfällen im Berufskontext korreliert.

Nach diesen kurzen theoretischen Ausführungen zu den individuellen Grundlagen von Resilienz sollen nun Möglichkeiten zur Erfassung und Förderung von Resilienz im Arbeitskontext beleuchtet werden.

Mentale Fitness der Mitarbeitenden stärken

Es ist wichtig festzuhalten, dass die Erwerbstätigkeit sich auf zahlreiche Gesundheitsfaktoren begünstigend auswirkt. Viele Menschen erleben aber auch Distress am Arbeitsplatz. Von grosser Bedeutung für das subjektive Stresserleben ist das Verhältnis von relevanten positiven und negativen Aspekten der Arbeitsbedingungen.

Ein hilfreiches Modell zur Gegenüberstellung von Ressourcen und Belastungen ist der von der Gesundheitsförderung Schweiz in Zusammenarbeit mit der Universität Bern und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften entwickelte Job-Stress-Index. Gemäss einem seit 2014 jährlich erscheinenden Bericht, in dem unter anderem der Job-Stress-Index bei Erwerbstätigen in der Schweiz erfasst wird, fühlen sich viele Arbeitnehmer vor allem dann gestresst, wenn Verantwortlichkeiten nicht klar geregelt sind. Um die mentale Fitness am Arbeitsplatz zu stärken, gilt es, vorhandene Ressourcen auszuschöpfen und im Gleichgewicht mit den Arbeitsbelastungen zu halten.

Erfolgsfaktoren – was können Arbeitgeber tun?

Vorgesetzte sollten Arbeitsteams bestmöglich strukturierend unterstützen, dabei jedoch ihrer betrieblichen Rolle treu bleiben. Im Ernstfall sollten Führungskräfte auf psychotherapeutisch geschulte Fachleute zurückgreifen. Ziel sollte sein, den psychisch angeschlagenen Mitarbeitenden im Arbeitsprozess zu halten und eng zu begleiten. Doch welche Faktoren können aktiv beeinflusst werden, um die psychische Gesundheit von Mitarbeitenden zu stärken? Im Rahmen des Programms «Guarding minds at work» ging der kanadische Psychologe Dan Bilsker genau dieser Frage nach. Die Ergebnisse zeigen, dass folgende vier Aspekte zentral sind:

  • Eine Firmenkultur, die auf Ehrlichkeit, Wertschätzung, Toleranz, Fairness und Respekt basiert.
  • Eine tragfähige Beziehung zum direkten Vorgesetzten und das Vertrauen, dass mentale Probleme ebenso ernst genommen werden wie andere Gesundheitsprobleme.
  • Die psychologische Unterstützung bei mentalen Problemen – sei es in der Firma oder durch vermittelte externe Fachleute.
  • Eine ausgewogene Lebensbereichsbalance (Life-Domain-Balance), welche erlangt wird, wenn sich Mitarbeitende von ihren Arbeitsbelastungen laufend regenerieren können und dies vom Arbeitgeber gefördert wird.

Ausgeglichene Lebensbereiche dank Selbstmanagement

Neben der Arbeit und dem Privatleben gibt es weitere relevante Lebensbereiche, die sich gegenseitig beeinflussen können und die es in Einklang zu bringen gilt. Hierfür wird die sogenannte Life-Domain-Balance als konzeptuelle Erweiterung des gängigen Begriffs der Work-Life-Balance herangezogen.

Die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben verwischen angesichts der stetigen Zunahme (spät)-moderner Transformationsprozesse wie Individualisierung, Digitalisierung und Globalisierung zusehends. Mit Hilfe einer verbesserten Life-Domain-Balance können individuelle und gesundheitsförderliche Synergien erschlossen werden. Dafür braucht es eine breite Massnahmen-Palette, die Techniken der Stressbewältigung und Methoden des Selbstmanagements einschliesst.

Die von Prof. Dr. med. Tom Sensky (Imperial College London) und Prof. Dr. med. Stefan Büchi entwickelte PRISM+-Methode ermöglicht dabei eine hilfreiche Visualisierung der persönlich relevanten Lebensbereiche wie Arbeit, Beziehungen, Gesundheit und Sinn (inkl. Hobbies). Mit Hilfe von PRISM+ können die wichtigen Lebensbereiche identifiziert und in Beziehung zum Individuum (Ich) gesetzt werden (vgl. Abb. 1).

Abbildung der PRISM+-Methode

Abb. 1: Eruierung des Stellenwerts verschiedener Lebensbereiche mittels PRISM+

prismium GmbH

In zwei Schritten zur gewünschten Lebenssituation

In einem ersten Schritt erfassen die Befragten selber ihre derzeitige Lebenssituation und deren Bedeutung mit Hilfe der farbigen Symbol-Scheiben. Anschliessend wird die gewünschte Lebenssituation visualisiert. Falls der Lebensbereich Arbeit in der Ist-Situation eine unerwünschte – beispielsweise zu dominante – Position einnimmt, bieten sich unter anderem Arbeits- und Zeitplantechniken an, um Entlastung im Arbeitsleben herzustellen:

  • Sich auf seine beruflichen Ziele besinnen und diese konsequent verfolgen
  • Single-Tasking statt Multi-Tasking – eine Tagesplanungs-Routine erarbeiten und den Fokus auf wenige wichtige Punkte legen
  • Das Tempo drosseln – jede Aufgabe gelassen und konzentriert angehen
  • Zeit für Pausen zwischen Aufgaben und Terminen einplanen
  • Sich vor permanenten Störungen schützen
  • Besprechungen mit Zeitplänen und Vorbereitung effektiver und kürzer gestalten
  • Mut zur Delegation und zum Nein-Sagen entwickeln

Dem Arbeitssog widerstehen

Die Erfahrung aus Coaching und Beratung zeigt, dass diese bekannten Techniken nur dann konsequent angewendet werden, wenn der Person klar ist, wofür sie dies tut. Sonst schleicht sich rasch wieder die bisherige Routine ein. Es hilft, sich Ziele zu setzen, bei deren Erreichen man positive Emotionen wie Freude oder Stolz als direkten Gewinn erfährt – auch durch kleinere Projekte wie der Teilnahme am Lauftreff oder dem Anlegen eines Kräutergartens. Über die konsequente Anwendung von Arbeits- und Zeitplantechniken ist es möglich, dem Arbeitssog zu widerstehen. Sobald der Lebensbereich Arbeit besser ausbalanciert werden kann, entstehen Freiräume für Gesundheit, Beziehungen und Sinnfragen.

Eine ausgewogene Life-Domain-Balance lohnt sich

Das Ziel einer ausgewogenen Balance von Lebensbereichen ist, dass Mitarbeitende gesund bleiben und über längere Zeit gute Leistungen erbringen können. Neben der Vielfalt der erwähnten Massnahmen ist bedeutsam, dass sich die Aufgaben von Arbeitnehmern auf deren Interessen und Bedürfnisse abstützen. In einer Studie zur „Zukunft der Arbeit im Jahr 2020“ von PwC äussern beispielsweise 36 Prozent der Befragten die Hoffnung, dass sie in der kommenden Dekade ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben haben werden. Flexible Arbeitsmodelle gehören zu den am meist geschätzten Werten der modernen Arbeitswelt. Eine konsequente Förderung der individuellen Life-Domain-Balance ist eine Investition, die sich für alle lohnt: für die Beschäftigten, für die Betriebe und nicht zuletzt für die Volkswirtschaft.

Reintegration nach Burnout

Werden trotz anhaltender Überforderung am Arbeitsplatz keine Massnahmen ergriffen, führt dies oftmals zum sogenannten Burnout. Gemäss einer Studie von Kathleen Schwarzkopf et al. (2016) ist in diesem Fall eine stationäre multimodale Psychotherapie als effektive Behandlungsmethode zu empfehlen. Nach sechswöchiger Therapie in einer auf Burnout spezialisierten Klinik haben 71 Prozent der Teilnehmenden den beruflichen Wiedereinstieg geschafft. Wünschenswert wäre, dass der Einfluss des vorhandenen Prophylaxe-Know-hows im Human-Ressources-Bereich und in der täglichen Führungsarbeit künftig noch weiter nutzbar gemacht wird.

Literatur

  • Bilsker, D./Gilbert, M. (2013): Guarding Minds At Work. Simon Fraser University, Centre for Applied Research in Mental Health and Addiction (CARMHA), Vancouver.
  • PricewaterhouseCoopers International (2010): Managing tomorrow’s people: Future of work to 2020.
  • Schwarzkopf, K./Conrad, N./Straus, D./Porschke, H./von Känel, R. (2016): Einmal Burnout ist nicht immer Burnout: Eine stationäre multimodale Psychotherapie ist eine effektive Burnout-Behandlung. In: Praxis 105 (6), S. 315-321.
  • Sensky T./ Büchi S. (2016) PRISM, a novel visual metaphor measuring personally salient appraisals, atittudes and decision making: Qualitative evidence synthesis. PloS One.23;11(5)
  • Ulich, E. /Wiese, B. S. (2011). Life Domain Balance: Konzepte zur Verbesserung der Lebensqualität. Wiesbaden: Gabler.

Autor*innen

  • Prof. Dr. med. Stefan Büchi

    ehem. Ärztlicher Direktor

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