Die Integration von Psychiatrie und Psychotherapie in die Spitalmedizin

Das Zentrum für psychische Gesundheit der Privatklinik Hohenegg entstand 2019 im Rahmen einer Kooperation mit dem Spital Zollikerberg, das einen Zusammenarbeitspartner für psychiatrisch-psychotherapeutische Fragestellungen suchte. Sieben psychologische Psychotherapeutinnen und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie sowie eine Fachärztin für Pharmakologie und Toxikologie behandeln ambulant und an den Spitälern Zollikerberg und Männedorf Menschen mit einem körperlichen oder psychischen Leiden aus einer umfassenden, biopsychosozial orientierten psychiatrischen Perspektive.

Die Privatklinik Hohenegg behandelt und betreut am Zentrum für psychische Gesundheit Patientinnen und Patienten der Spitäler Zollikerberg und Männedorf.

Jasmin Breitenstein erlebt es das zweite Mal. Ihr erstes Kind – Sohn Lukas – wurde auch im Spital Zollikerberg geboren. Nun wird sie in den Gebärsaal gebracht. Sie hat Angst. Tausend Gedanken, bruchstückhaft, schwirren ihr durch den Kopf. Ob es diesmal besser geht? Sie möchte dieses Ausgeliefertsein nie mehr erleben müssen.

Die Schwangerschaft von Lukas verlief unproblematisch. Sie und ihr Lebenspartner Iwan freuten sich sehr auf ihr erstes Kind, lasen vieles über Schwangerschaft und Geburt, tauschten sich mit befreundeten Eltern aus, besuchten den Geburtsvorbereitungskurs. Sie hatten klare Vorstellungen, wie sie die Geburt und die Zeit danach gestalten wollten und fühlten sich gut vorbereitet. Doch es kam anders als erhofft. Weil Jasmins Plazenta eine unübliche Position hatte, kam es zu einer Blutung, die Jasmin erschreckte. Und plötzlich ging alles ganz schnell. Eine Ärztin sagte etwas von Notkaiserschnitt und dass sie jetzt in Narkose versetzt würde.

Nur 20 Minuten später war Lukas da. Es sei alles sehr gut gegangen, hatte ihr die Ärztin später erklärt. Jasmin konnte sich an nichts mehr erinnern. Nach der Geburt fühlte sie sich zwar erleichtert, einen gesunden Knaben zur Welt gebracht zu haben. Sie hatte aber Mühe, sich so unerwartet auf ein völlig anderes Szenario einzustellen. Eine Spontangeburt, die sie sich sehnlichst gewünscht hatte, war nicht möglich. Zeit für eine Verarbeitung blieb keine. Dies musste sie später nachholen, den «gerissenen Film» mithilfe der Schilderungen der Hebammen und ihres Lebenspartners wieder zusammenstückeln.

Das war vor zwei Jahren. Die Bilder von damals erscheinen Jasmin auf ihrem Weg in den Gebärsaal. Und sie hofft, dass diesmal alles gut kommt.

Entlastung bei der Geburt dank psychologischer Begleitung

Das Spital Zollikerberg führt mit fast 2500 Geburten pro Jahr eine der grössten Geburtskliniken im Raum Zürich. Dank dem erfahrenen Team und der im Haus angesiedelten Neonatologie fühlen sich viele Eltern gut aufgehoben. Gleichzeitig ist der Anteil an sogenannten «Risikoschwangerschaften» mit fast 50% hoch. Die meisten Geburten laufen dank der grossen Erfahrung und Professionalität problemlos ab. Bei einigen gibt es aber Komplikationen – so wie bei Jasmin. Für die Eltern sind solche Situationen meist stark belastend. Sie fühlen sich ausgeliefert, erleben Gefühle des Kontrollverlusts und sind subjektiv bisweilen existentiell bedroht. Dies kommt auch dann vor, wenn aus fachlicher Sicht kein Anlass zur Sorge besteht und die Komplikationen routiniert gemeistert werden können.

Bei Jasmin und Iwan ist dem Behandlungsteam die Vorgeschichte bekannt. Bereits im Vorfeld hat die Chefärztin der Geburtshilfe die leitende Psychologin des Zentrums für psychische Gesundheit der Privatklinik Hohenegg kontaktiert, um sie über die psychologisch herausfordernde Geburtssituation der Eltern zu informieren. Noch vor dem Eintritt kommt es zu einem ersten Gespräch mit den Eltern in den Räumlichkeiten des Zentrums auf dem Spitalgelände. Man vereinbart einen nächsten Termin nach der Geburt auf der Maternité, was die Patientin bereits im Vorfeld sehr entlastet.

Die Spontangeburt von Tochter Lydia erlebt Jasmin glücklicherweise positiv. Das Personal ist durch die Chefärztin und die Psychologin über ihre Situation informiert worden, alle agieren achtsam und sorgfältig. Jasmin fühlt sich aufgehoben und umsorgt. Es braucht noch zwei ambulante Treffen mit der Psychologin, um die nun gemachte Korrekturerfahrung zu festigen und das reaktivierte Erlebnis mit Lukas noch besser integrieren zu können. Danach wird die Behandlung abgeschlossen.

Integration psychischer Aspekte in den Spitalbetrieb

Wir behandeln und betreuen am Zentrum für psychische Gesundheit Patientinnen und Patienten der Spitäler Zollikerberg und Männedorf. Mit beiden Häusern bestehen Zusammenarbeitsverträge mit dem Zweck einer möglichst breiten Gesundheitsversorgung, die auch psychische Aspekte der Krankheitsverarbeitung, -entstehung oder -aufrechterhaltung miteinschliesst. Zudem ist der Anteil der Spitalpatientinnen und -patienten, die neben körperlichen Leiden auch eigentliche psychische Erkrankungen haben, mit 12 bis 30% (je nach Studie) hoch, was eine entsprechende Expertise an somatischen Häusern erfordert. Ein entsprechendes Angebot ist auch Voraussetzung, um sich als Spital für die Zürcher Spitalliste 2023 zu qualifizieren.

Unser Bestreben ist jedoch nicht nur die Diagnostik und Behandlung psychischer Erkrankungen, sondern vielmehr die selbstverständliche Integration psychischer Aspekte in den Medizinbetrieb. Dies gilt für psychisch-körperliche Wechselwirkungen ebenso wie für die vermehrte Ausrichtung auf patientenspezifische, subjektive Aspekte des Krankseins durch die im Spital tätigen Fachkräfte.

In der konkreten Umsetzung bedeutet dies für das Team von psychologischen und ärztlichen Psychotherapeuten vor allem Präsenz. Gegenüber den Spitalteams gilt es, mögliche Ängste oder auch Vorurteile gegenüber psychischen Krankheiten oder -phänomenen abzubauen. Dies gelingt durch Information, Weiterbildungen, Teilnahme an Rapporten und die dadurch idealerweise angestossenen Lernprozesse, die zeigen, dass psychisches Erleben und Verhalten ganz normale, selbstverständliche Aspekte des Menschseins darstellen.

Im Fall der Geburtsklinik sind seit Mai 2022 zwei leitende Psychologinnen (Dr. phil. Simona Högstadius und lic. phil. Eliane Schmid) im Team der Maternité täglich präsent.  Es findet ein informeller, aber auch strukturierter Austausch mit dem Behandlungsteam statt (z.B. durch die Teilnahme an der Chefärztin-Visite). Wir bemühen uns um fachliche Informationsvermittlung an internen Fortbildungen und stehen dem Geburtshilfeteam auch für Fallbesprechungen bei komplexen Behandlungen oder nach schwierigen Geburten zur Verfügung.

Auch gegenüber den Spitalpatientinnen und -patienten ist die selbstverständliche Präsenz einer Fachperson für die psychische Gesundheit wichtig. Noch immer ist das Thema stigmatisiert und gerade Professionelle neigen noch immer dazu, die Begriffe «Psychiatrie» oder «Psychiater» gegenüber Patientinnen und Patienten lieber zu vermeiden. Dem entsprechend reagieren gerade ältere Menschen gelegentlich irritiert über die Ankündigung unseres Besuchs («ich bin doch nicht irre…!»), fast ausnahmslos sind sie jedoch nach einem gelungenen Gespräch entlastet und reagieren mit positivem Feedback. Auf der Maternité sind unsere beiden Psychologinnen niederschwellig mit den Eltern im Kontakt und unterstützen diese in der Verarbeitung der Geburt sowie in ihren neuen Rollen als Mütter und Väter. Ihre Präsenz wird geschätzt als wichtiger Beitrag zu einem gelungenen Start in das herausfordernde Familienleben.

Psychoonkologie

Neben der Geburtshilfe stellt die psychotherapeutische Behandlung von Krebskranken einen weiteren Fokus des Zentrums für psychische Gesundheit dar. Krebs ist mit 43’500 Neuerkrankungen pro Jahr eine der häufigsten Krankheiten der Schweiz. Mit immer weiter entwickelten, teilweise sehr erfolgreichen Therapien bedeutet Krebs nicht mehr a priori ein Todesurteil. Vielmehr leben heute viele Menschen mit dem Krebs («Survivorship»), der deshalb je nach Verlauf auch als chronische Krankheit betrachtet werden kann. Entsprechend ist der Bedarf an begleitender psychosozialer oder -therapeutischer Unterstützung gross. Sowohl am Spital Zollikerberg als auch am Spital Männedorf führen wir eine Sprechstunde für Psychoonkologie (MSc Rahel Bucher, lic. phil. Irene Aeppli), in der die Betroffenen und deren Angehörige ambulant begleitet werden. Es findet ein enger Austausch mit den jeweiligen onkologischen Teams statt. Zudem gewährleisten wir an beiden Spitälern die psychotherapeutische Versorgung der beiden zertifizierten Palliativstationen (Zollikerberg: Dr. med. Felicitas Sigrist; Männedorf: lic. phil. Irene Aeppli). Die Palliativmedizin ist ein paradigmatisches Beispiel für eine integrierte, bio-psycho-soziale, individuumszentrierte und interprofessionell agierende moderne Medizin.

Zentrum für psychische Gesundheit

Das Zentrum für psychische Gesundheit der Privatklinik Hohenegg entstand 2019 im Rahmen einer Kooperation mit dem Spital Zollikerberg, das einen Zusammenarbeitspartner für psychiatrisch-psychotherapeutische Fragestellungen suchte. Sieben psychologische Psychotherapeutinnen und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie sowie eine Fachärztin für Pharmakologie und Toxikologie behandeln ambulant und an den Spitälern Zollikerberg und Männedorf Menschen mit einem körperlichen oder psychischen Leiden aus einer umfassenden, biopsychosozial orientierten psychiatrischen Perspektive.

Neben ambulanten Abklärungen und psychotherapeutischen und/oder pharmakologischen Therapien behandeln und begleiten die Fachpersonen Spitalpatientinnen und -patienten während ihres Aufenthalts und stehen den ärztlichen Kolleginnen und Kollegen beider Spitäler für konsiliarische Fragestellungen zur Verfügung. Bestmöglich werden sie in die jeweiligen Behandlungsteams integriert und nehmen an Rapporten, Visiten, Fallbesprechungen und ethischen Fragestellungen teil.

Fachliche Schwerpunkte sind Innere Medizin, Geriatrie, Palliativmedizin, Psychoonkologie und Geburtshilfe. Als integriertes Versorgungsangebot der Privatklinik Hohenegg bieten wir zudem eine ambulante „poststationäre Gruppe“ an für Patientinnen und Patienten, die in unserer Privatklinik in Meilen behandelt wurden und den Übergang zurück in den Alltag im Rahmen eines therapeutisch geleiteten Gruppenaustauschs erfolgreich bewältigen möchten.

Als wichtiger Anteil eines umfassenden Gesundheitsbegriffs wird auch ein Fokus auf die psychische Gesundheit der Spitalmitarbeitenden gelegt. Insbesondere in enger Zusammenarbeit mit der Stiftung Diakoniewerke Neumünster wird dieses Thema vorangetrieben, indem eine Kooperation mit anderen Stiftungsangeboten besteht, welche Mitarbeitende unterstützen und beraten.

Autor*innen

  • Dr. med. Ruedi Schweizer

    Ärztlicher Leiter, Zentrum für psychische Gesundheit der Privatklinik Hohenegg am Spital Zollikerberg

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