«Mein Therapeut empfahl mir die Privatklinik Hohenegg. Zuerst war ich sehr skeptisch. Ich hatte Angst davor, in die Klinik zu gehen. Würde ich mein ganzes Leben nun an die Wand fahren, würde ich ein Ausgestossener der Gesellschaft werden? Nichts von alle dem ist je eingetroffen. Ich musste mein Leben verändern, und ja, ich konnte es nicht allein angehen, dazu fehlte mir die Kraft und die Vorgehensweise. Heute ist klar, dass der Entschluss, in die Klinik zu gehen, meine einzige Chance auf dem Weg zu einer Besserung war. Ich hatte keine Wahl.
In meinem Leben stimmte seit langem vieles nicht mehr. Der Umgang mit mir selbst, mein Job, Beziehungen – in fast allen Bereichen hatte die Krankheit einen grossen Einfluss auf meine Lebensqualität genommen, und diese war nahe dem Nullpunkt. Ich war in einer grossen Lebenskrise. Der Aufenthalt in der Hohenegg half mir, wieder zu Kräften zu kommen, Klarheit zu gewinnen, alte Trampelpfade zu verlassen, Neues aufzugleisen. Viele Themen tauchten auf, die ich in der Therapie bearbeitete und die mich auch heute noch beschäftigen.
In der Klinik erlebte ich drei Phasen. Zuerst das Ankommen. Man wird in den Alltag der Klinik eingeführt, lernt Haus, Therapeuten und die anderen Patientinnen und Patienten kennen. Vor allem bekommt man eine Struktur, was ich als äusserst hilfreich erlebt habe: Morgenrituale, Therapien, das gemeinsame Essen. Dabei war wichtig, dass ich keinem Druck ausgesetzt war. Ich konnte zu Beginn des Aufenthalts an den Aktivitäten teilnehmen oder auch nicht. Ich brauchte am Anfang viel Ruhe und Zeit für mich. Ich habe in dieser Zeit viel geschlafen und meinen Tränen freien Lauf gelassen.
In der zweiten Phase meines Aufenthaltes kam ich langsam wieder zu Kräften. Ich besuchte viele Therapien – Gesprächstherapie, Musiktherapie, Gestaltung. Hier konnte ich in Ruhe meine Themen bearbeiten, gewann Einsichten, verstand, was in meinem Leben falsch lief und wo ich Änderungen herbeiführen musste. Ich konnte die Erkenntnisse sofort mit meiner persönlichen Bezugsperson der Klinik reflektieren. Ein Thema war die Abgrenzung. Ich war immer für andere da, übernahm zu viele Aufgaben, achtete wenig auf eigene Bedürfnisse. Ich war zu lieb, mit allen anderen, aber nicht mit mir. In der Klinik lernte ich, wie wichtig es ist, dass ich mich abgrenze. Heute überlege ich mir gut, welche Aufgaben ich übernehme. Mein «Helfersyndrom» habe ich abgelegt.
Hinzu kamen Gespräche mit Verwandten, Familie, Arbeitgeber – meist im Beisein eines Therapeuten. Vieles in unserer Lebenswelt ist systemisch, die Hohenegg berücksichtigt das sehr. Dies zeigt sich unter anderem dadurch, dass die Klinik Infoveranstaltungen für Angehörige und Partner durchführt. Hilfreich war auch, dass ich meiner Familie in einem kleinen Rundgang die Hohenegg und ihr Angebot vorstellen konnte, was ihr gewisse Ängste und Vorbehalte genommen hat.
Ich schätzte die Vielfalt der Therapien. In der Musiktherapie zum Beispiel erfuhr ich viel über Gruppendynamik, über meine Rolle in Teams und über mein bisweilen dominantes Verhalten. Im Shiatsu lernte ich, meinen Körper anders wahrzunehmen, und in den Gesprächen gewann ich Erkenntnisse über mir bisher verborgene Zusammenhänge – die Voraussetzung für Veränderung.
Im therapeutischen Gestalten entstehen Kunstwerke, findet Ausdruck, was im Gespräch möglicherweise nicht formuliert werden kann. Das gibt Kraft. Ich malte auf Seide 32 Themen, die mein Leben betrafen. Dazu schrieb ich kurze Texte. Noch heute lese ich diese Texte ab und zu, was hilfreich und bereichernd ist.
In der dritten Phase geht es darum, Abschied zu nehmen – von der Klinik und von gewissen alten Lebensweisen – und sich auf das Leben nach dem Klinikaufenthalt vorzubereiten. Ich habe während meiner Zeit in der Hohenegg die Klinik regelmässig für kurze Zeit verlassen, habe mich der «Realität draussen» ausgesetzt, bin zum Beispiel durch die Stadt spaziert. So habe ich erfahren, wie weit ich genesen bin. Es ist ein Unterschied, ob man sich in der Hohenegg gleichsam in einem Wattebausch aufhält, einem sicheren Raum, oder im wirklichen Leben.
Ich schaue nun auf mehrere Aufenthalte in der Hohenegg zurück, weil ich Rückfälle erlitten hatte. Im Rückblick hätte ich schneller mehr in meinen Leben ändern sollen, doch eine Genesung von einer Depression braucht viel Zeit und Kraft. Ich war immer wieder mit Depressionen, Angst, Verzweiflung und einer totalen Handlungsunfähigkeit konfrontiert.
In den Zeiten zwischen meinen Aufenthalten arbeitete ich jeweils ein Jahr. Vordergründig war ich gesund, aber eben nur vordergründig. Das hatte unter anderem mit meiner beruflichen Situation zu tun, in der ich mir selbst viel Druck machte. Auch wenn ich Wiedereinstiegsprogramme absolvierte, ging ich noch nicht entsprechend meinen Ressourcen mit mir um, wie ich das heute tue.
Unterdessen habe ich meinen alten Job bei einem Finanzdienstleister gekündigt und trete in diesem Frühjahr eine neue Stelle an. Das ist auch meine Empfehlung an Menschen in einer ähnlichen Situation: Es ist entscheidend, dass man erkennt, was einem nicht guttut und entsprechend neue Wege beschreitet. Das braucht Mut, bedeutet viel Arbeit, ist meines Erachtens aber unerlässlich.
Im Rückblick hat mir in der Klinik neben dem umfassenden Therapieangebot vor allem das überzeugende Hohenegger Konzept geholfen. Jeder und jede ist hier wichtig, die Ärztinnen und Ärzte, Therapeuten, auch die Menschen des Hausdienstes und der Gastronomie sowie die Patientinnen und Patienten. Sie allerdings sind Fluch und Segen zugleich. Man ist nicht allein, teilt Erfahrungen, was schön ist, muss sich aber auch abgrenzen, wenn sie einen mit ihren Geschichten «aufsaugen». Noch heute habe ich Kontakt zu einigen ehemaligen Mitpatienten. Hilfreich war auch, dass ich bei meinen Aufenthalten mit unterschiedlichen Psychotherapeuten bzw. Psychiatern arbeitete, bedingt durch Ferienabwesenheiten. Andere Patienten beklagen die Wechsel. Für mich war das bereichernd, weil ich dadurch unterschiedlichen Perspektiven erlebte und von unterschiedlichen Kompetenzen und Erfahrungsschätzen profitierte. Als schwierig erlebte ich die Coronamassnahmen. Die Kommunikation und Begegnungen waren eingeschränkt.
Mein letzter Klinikaufenthalt liegt nun über ein halbes Jahr zurück. Für meine Zukunft bin ich zuversichtlich. Ich habe in meinem Leben vieles verändert, was auch schmerzhaft war. Dank den klaren Entscheiden und regelmässiger ambulanter Therapie ist mir, glaube ich, der Wiedereinstieg in mein neues Leben gut gelungen. Aber die Arbeit bleibt: die kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben.»