Mitten in der Altstatdt von Zürich im Kulturhaus Helferei besprachen Prof. Dr. Martin Hartmann, Professor für Praktische Philosophie an der Universität Luzern und der bekannte Psychiater Prof. em. Dr. med. Daniel Hell ein hochaktuelles Thema, das viele der Zuhörenden derzeit umtreibt: Vertrauen
Heute ist viel von Vertrauen die Rede. So viel, dass man der häufigen Verwendung dieses Begriffs in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft immer mehr misstraut. Es gibt eine Krise des Vertrauens. Dabei ist Vertrauen für das Zusammenleben von Menschen von grundlegender Bedeutung. Ein Vertrauensverlust führt zu Unsicherheit, Angst und Stress.
Was aber ist Vertrauen und weshalb ist Vertrauen wichtig? Wann ist Vertrauen keine Leerformel und kein Eigennutz?
„Der Wunsch nach Kontrolle signalisiert fehlendes Vertrauen. Wenn wir jemandem vertrauen, dann verzichten wir bewusst auf Kontrolle. Das macht uns verletzbar“ sagt Martin Hartmann. Dies beschreibt die Ambivalenz des Vertrauens: Einerseits sehnen wir uns nach engen Beziehungen, andererseits haben wir Angst davor, weil Vertrauen mit Verletzlichkeit einhergeht.
Vertrauen bedingt, den Mitmenschen nicht für eigene Zwecke auszunützen. Es setzt Wohlwollen voraus. Vertrauen basiert nicht auf Berechnungen, auch nicht auf der blossen Einschätzung der Verlässlichkeit von Mitmenschen.
Vertrauen baut auf Erfahrungen auf, auf dabei erlebten Gefühlen und daraus gewonnen Erkenntnissen. Es verbindet Kopf und Herz. Das macht Vertrauen zu einer Haltung, die dem Vertrauenden wie dem Vertrauen Bekommenden guttut.
Vertrauen schafft Beziehung
Es soll dann eingesetzt werden, wenn scheinbar Gespräche, Situationen und Verhaltensweisen aus dem Ruder zu laufen drohen, wenn Konflikte Kommunikationen erschweren oder gar unmöglich machen. „Vertrauen haben“ hat einen hohen Stellenwert: Als ethische und moralische Charaktereigenschaft im gesellschaftlichen und individuell-alltäglichen Denken und Handeln. Der Mensch, so eine biologische Interpretation, entwickelt von sich aus ein Grundvertrauen, insbesondere wenn es um Beziehungen zu anderen Menschen, um Kontakte und Kommunikation geht. Vertrauen ist jedoch weit mehr als die Abwesenheit von Misstrauen. Es bedarf unter anderem eines Sozialverhaltens.
Jedoch braucht Vertrauen nicht nur den eigenen Willen und die Fähigkeit, human zu leben, sondern vor allem auch die Bereitschaft des Gegenübers, Vertrauen entgegen zu nehmen und zu geben. Demnach ist die Frage danach, was Vertrauen ist und sich auswirkt, nicht einfach damit zu beantworten, dass Vertrauensfähigkeit eine „weiche“ Einstellung und Verhaltensweise ist; vielmehr, das zeigen die vielfältigen Formen und Erfahrungen des Alltagslebens, dass Unvertrauen und Vertrauensverlust eng zusammenhängen mit den gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen, wie mit den Werten, Normen, kulturellen und interkulturellen Identitäten des menschlichen Daseins.
Vertrauen», sagt Martin Hartmann, «ist wie die Luft zum Atmen. Solange alles in Ordnung ist, bemerken wir sie gar nicht.» Heisst im Umkehrschluss: Denken wir über Vertrauen nach, dürfte damit wohl etwas im Argen liegen. Tatsächlich wird aktuell viel über Vertrauen gesprochen, allerdings meist, um deren Mangel zu beklagen. Das Problem besteht heute nicht darin, dass es keine vertrauenswürdigen Menschen und Gruppen mehr gibt, sondern vielmehr darin, wie wir diese erkennen und Bedingungen schaffen können, Vertrauen zu erleichtern.
Eine Vertrauenskrise bezieht sich auf das Vertrauen selbst
„Wenn wir das Gefühl haben, vertrauen zu müssen, dann kann das an sich eine Vertrauenskrise auslösen, weil ich vielleicht gar nicht vertrauen möchte, sondern lieber die Kontrolle behalte. Wir fürchten uns vor dem Vertrauen, vertrauen dem Vertrauen nicht, weil wir durch das Vertrauen, das wir anderen schenken, nicht verletzt werden wollen. Das ist nicht bloss eine Vertrauenskrise, sondern eine Krise des Vertrauens. Es geht dabei nicht darum, dass andere nicht vertrauenswürdig sind. Es geht darum, dass wir nicht bereit sind, anderen unser Vertrauen zu schenken, weil ich mich damit immer auch ein Stück weit exponiere“ so Hartmann.
Vertrauen ist auch Anerkennung. Sie macht Mut, gewährt Freiräume und signalisiert: Du kannst das. Ich gebe dem anderen Freiheit und die Möglichkeit, in dieser Freiheit zu wachsen – und andersrum.