Neuartige Therapien bei Depressionen? Der Zusammenhang zwischen Psyche und Motorik

In der Privatklinik Hohenegg wurde von Februar bis Juni 2023 eine Studie durchgeführt, die den Zusammenhang zwischen Kognition und Gang bei Menschen mit Depressionen untersucht. Basierend auf diesen Ergebnissen wollen die Forscher von zwei Hochschulen in enger Zusammenarbeit mit der Hohenegg neue nicht-medikamentöse Interventionen für Menschen mit psychischen Krankheiten entwickeln.

Ein Studienteilnehmer absolviert einen Gehtest. Parallel löst er eine komplexe kognitive Aufgabe.

Privatklinik Hohenegg

Der Zusammenhang zwischen Demenz und Motorik ist erwiesen. Die Physiotherapie leistet bereits einen wichtigen Beitrag zur Früherkennung von neurodegenerativen Erkrankungen, indem sie zielgerichtete Ganganalysen einsetzt, die auf Tempo und Rhythmus fokussieren. Im Bereich der psychischen Krankheiten klafft diesbezüglich noch eine Wissenslücke, obwohl es klinisch viele Hinweise dafür gibt, dass auch Menschen mit einer Depression sich anders bewegen.

Beteiligte Hochschulen und Forscher

Diese Lücke will ein Forschungsteam schliessen. Während fünf Monaten führten in der psychiatrischen Privatklinik Hohenegg in Meilen Forschende der OST – Ostschweizer Fachhochschule (Bereich Physiotherapie) und der ETH (Departement Gesundheit und Technologie) in enger Zusammenarbeit mit Prof. Dr. med. univ. Josef Jenewein, Ärztlicher Direktor der Klinik und Spezialist für Psychosomatik, eine Studie durch.

Hier sehen Sie einen Videoclip mit Josef Jenewein, der die Studie näher erläutert.

Forschungssetting: verkabelt in einer Acht gehen

Insgesamt nahmen 90 Erwachsene, davon 55 Frauen, mit einem Durchschnittsalter von 45,7 Jahren an der Studie teil. Die Teilnehmenden wurden entsprechend ihrer depressiven Symptomatik (gemessen mit dem Beck Depression Inventory, BDI) in zwei Gruppen eingeteilt: 36 Personen waren nicht depressiv, 54 waren leicht bis schwer depressiv. Die Teilnehmenden der Gruppe mit depressiven Symptomen wurden grösstenteils in der Privatklinik Hohenegg rekrutiert.

Die Studienteilnehmenden absolvierten einen Gehtest. Während des Gehens wurden Parameter wie den Gang-Rhythmus und die Geh-Geschwindigkeit erfasst. Zusätzlich wurde in kognitiven Regionen, insbesondere im dorsolateralen präfrontalen Kortex (DLPFC), die Hirnaktivität mittels Nahinfrarot Spektroskopie aufgezeichnet. Zudem mussten die Teilnehmenden während des Gehtests eine kognitiv anspruchsvolle Rückwärtszählaufgabe durchführen. Vor der Ganganalyse führten wir auch Tests zur Messung der Herzratenvariabilität und kognitiver Funktionen durch, um zu untersuchen, wie sich die gemessenen körperlichen und kognitiven Parameter zwischen den Gruppen unterscheiden.

Hier sehen Sie einen Videoclip zum Forschungssetting:

 

Die beiden Gruppen unterschieden sich in Bezug auf die Gangart (Gehgeschwindigkeit) und kognitiven Funktionen (Arbeitsgedächtnis, Flexibilität und Inhibition) signifikant voneinander. Weiter unterschieden sich die Gruppen in der Herzratenvariabilität. In einer weiteren statistischen Analyse zeigte sich, dass 95 % der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer Depression (gemessen mit dem BDI) durch eine Veränderung der körperlichen (Gehgeschwindigkeit) und kognitiven Faktoren (Arbeitsgedächtnis, Flexibilität und Inhibition) sowie der Herzratenvariabilität (als gutes Mass für Stress) im Vergleich zu der Gruppe ohne Depression zu erklären ist. Dies bestätigt unsere Annahme, dass eine Depression sich sowohl auf kognitive als auch motorische Funktionen auswirkt. Die Veränderung von kognitiven Funktionen bei Menschen mit einer Depression ist bereits gut untersucht, die Veränderungen der Motorik ist hingegen neu und könnte für neue Therapieansätze interessant sein.

Geplant sind deshalb weitere Studien, um zu beurteilen, wie sich die gemessenen Faktoren mit der Behandlung einer Depression verändern. Weiter soll untersucht werden, ob durch innovative, nicht-pharmakologische Therapien die gemessenen Parameter wie Gangart, Herzratenvariabilität und Kognition gezielt verbessert werden können.

Ausblick: Mit Fitnessspielen gegen die Depression?

Bei Menschen mit Demenz hat sich gezeigt, dass das Training zur Verbesserung kognitiver Funktionen am wirkungsvollsten ist, wenn es simultan zu einem motorischen Training stattfindet. Dafür wurden unter anderem interaktive Fitnessspiele, sogenannte Exergames, verwendet. Um zu prüfen, ob das bei Patientinnen und Patienten mit depressiven Symptomen ebenfalls funktioniert, hat das Forschungsteam sein Vorhaben bereits als Nationalfondsprojekt eingereicht. «Wir gehen davon aus, dass sich die Stimmung verbessert, wenn die negativen Gedanken (Kognition) abnehmen».  Die Ethikkommission hat für das Projekt bereits grünes Licht gegeben. Unterstützt es der Nationalfonds, wird es ab 2024 auch in der Privatklinik Hohenegg durchgeführt.

Stärkung der körperorientierten Therapien

Die Privatklinik Hohenegg setzt schon heute auf körperorientierte Therapieformen, um die körperliche Fitness, die Entspannung und Änderung der Körperwahrnehmung zu fördern. Die Entwicklung von Exergames eröffnet nun neue Möglichkeiten in der stationären Psychotherapie und Psychiatrie. Profitieren könnten besonders Patienten mit mittleren und starken Depressionen, die durch ihre Symptomstärke eine hohe Barriere für das konventionelle körperliche Training haben. Die Privatklinik Hohenegg strebt an, das nicht-pharmakologische Behandlungsangebot zu erweitern und die körperorientierten Therapien noch individueller auf ihre Patientinnen und Patienten auszurichten.

Autor*innen

  • Prof. Dr. med. Josef Jenewein

    Ärztlicher Direktor

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