Ich hatte mich vor einigen Jahren zusammen mit einer Kollegin selbstständig gemacht: Coaching und Organisationsentwicklung.
Es lief von Beginn weg gut, wir hatten viele Aufträge. Ich erlebte es als sehr fordernd und anspruchsvoll, all die Aufgaben und unterschiedlichen Rollen unter einen Hut zu bringen. Mein Mann und ich haben zwei Kinder, Unternehmensaufbau, Selbstständigkeit, Familienfrau. So spannend und erfüllend die Arbeit war, wir kamen immer wieder an unsere Kapazitätsgrenzen. Ich dachte, das gehört dazu und wird mit der Zeit einfacher.
Mein Mann, der als Pilot arbeitet, wollte sich beruflich umorientieren. Er absolvierte die Quereinsteigerausbildung zum Sekundarlehrer. Das bedeutete für mich, dass ich finanziell mehr Verantwortung übernehmen musste. Und wieder eine Kehrtwendung: Er bekam unerwartet die Möglichkeit, sich zum Kapitän weiterzubilden. Also setzte er wieder auf seinen angestammten Beruf und war oft unterwegs. Vieles hing an mir. Ich mag Veränderungen, aber es war zu viel. Ich merkte, dass mir die Belastungen und Anforderungen über die Jahre zusetzten. Ich hatte Schlafstörungen, fühlte mich häufig erschöpft, zog mich zurück und war rastlos. Mein Alltag wurde zum Kampf gegen meine To-do-Listen. Ich funktionierte nur noch, mein Kopf drehte. Schliesslich stellte ich fest: Ich kann nicht mehr. Das war vor zwei Jahren. Dennoch zwang ich mich durchzuhalten. Im Nachhinein ist für mich klar: Ich habe viel zu lange gewartet, die vielen körperlichen und psychischen Signale einfach ignoriert.
Mein Körper rebellierte. Ich wurde immer wieder krank, konsultierte Ärzte und litt unter Schwindelanfällen. Ich frage mich heute: Wie konnte es sein, dass meine Ärzte und ich nicht merkten, dass ich in ein klassisches Burnout gelaufen war und nicht «einfach körperlich krank» war? Ich wollte wohl nicht wahrhaben, dass ich den Belastungen nicht mehr gewachsen war, dass ich mich ausbeutete und meinen Alltag hätte ändern müssen. Schliesslich entwickelte ich Panikattacken. Das zwang mich in die Knie. Im November 2023 entschied ich mich auf Anraten meiner Familie, in die Klinik einzutreten. Ich wusste: Ich kann so nicht mehr weiter machen. Es geht nicht mehr. Dieser Entscheid war richtig, der radikale Schnitt unerlässlich. Ich frage mich heute, weshalb ich mich nicht früher für einen solchen Schritt entschieden habe. Andererseits weiss ich: Hätte man mir gesagt, du musst in eine Klinik, hätte ich dies von mir gewiesen. Man reagiert wohl erst, wenn es wirklich nicht mehr anders geht.
Der Anfang in der Hohenegg war hart. Es war für mich schwierig, mir einzugestehen, an welch tiefem Punkt ich in meinem Leben angelangt war. Ich erlebte das als ein Scheitern, was meinem Selbstwertgefühl zusetzte. Hinzu kam die Trauer. Andererseits merkte ich schnell, wie gut mir der Klinikaufenthalt tut. Der schöne Ort, die anderen Patientinnen und Patienten, die sich in vergleichbaren Situationen befinden und mit denen ich meine Geschichte teile. Ich fühle mich hier verstanden und erfahre Vertrauen. Man begegnet sich auf Augenhöhe und mit Respekt.
Die Therapien sind ressourcenorientiert. Die Betreuung durch Ärztinnen und Ärzte sowie Therapeuten erlebe ich als sehr professionell. Im Zentrum steht immer auch die Beziehung. Ich bin nun einige Wochen hier und fühle mich viel besser. Auf einmal spüre ich Lebendigkeit wie früher, lache und sehe Dinge mit Humor. Natürlich gibt es Wellen; mal geht es mir gut, dann falle ich wieder. Und stehe erneut auf. Ich denke, das gehört zum Prozess.
Bedeutsam ist auch die sogenannte Psychoedukation. Es ist hier alles sehr transparent. Wir erfahren, weshalb wir welche Therapien absolvieren, was Medikamente bewirken und in welchen Phasen Heilungsprozesse verlaufen. Diese Transparenz ist mir wichtig, schafft Vertrauen und hat dazu beigetragen, dass ich nun auch Medikamente nehme. Ich will wissen, was mit mir geschieht.
Ganz wichtig für mich sind die multisensorischen Erfahrungen. Nicht nur «Kopflastiges» wie Psychotherapie, sondern Bewegung, Musik, Tanz, Gestaltung und Yoga tun mir gut und helfen mir, mich wieder zu spüren und meinen Körper wieder an meinen Kopf anzuschliessen.
Natürlich denke ich auch an die Zukunft, wie mir nach dem Klinikaufenthalt der Einstieg in den Alltag gelingen kann. Das wird nicht einfach sein, denn hier leben wir wie auf einer Insel. Es war faszinierend zu sehen, wie schnell ich hier abgetaucht war, gleichsam abgeschottet von der Aussenwelt. Diese Abgrenzung – auch gegenüber Nahestehenden – ist wichtig für mich und hilft mir, mich auf mich zu konzentrieren. Aber es war nicht einfach zu sehen, was das bei meinen Lieben zum Teil bewirkt hat. Meine Eltern, zu denen ich einen nahen Kontakt pflege, halte ich momentan auf Distanz. Sie akzeptieren das nur bedingt.
Grosse Unterstützung erfahre ich durch meinen Mann. Er hat die Situation zuhause mit den Kindern und dem Haushalt im Griff, ist sehr präsent. Dies entlastet mich ungemein, und ich bin ihm enorm dafür dankbar. Aber es gibt auch Unsicherheit. Kürzlich hat er gesagt: «Du wirst nicht mehr die Gleiche sein, wenn du zurückkommst.» Das ist so. Und das ist gut so.
In meinem Alltag nach dem Klinikaufenthalt werde ich einiges ändern, mir mehr Raum geben für eigene Bedürfnisse, wieder mehr Freude, Leichtigkeit und Genuss in mein Leben einladen. Das tun, was für mich und meine Gesundheit wichtig ist, mich abgrenzen von fremden und eigenen Ansprüchen. Ich will nicht mehr nur funktionieren und durchgetaktet durchs Leben rasen wie früher, sondern ich will mein Verhalten und den Alltag kritisch hinterfragen und entsprechend gestalten. Vor allem werde ich auf mich hören, keinen Raubbau an mir betreiben und mit den Energien haushälterisch umgehen. Ich werde auf jeden Fall mit einem kleinen Pensum wiedereinsteigen und dann schrittweise schauen, wie sich mein Leben entwickelt.
Aufgezeichnet von Rolf Murbach
Hören Sie hier auch den Podcast mit Dr. med. Sebastian Haas, stv. Ärztlicher Direktor und Schwerpunktleiter Burnout und Belastungskrisen.