Er hat aufgezeigt, wie wichtig es ist, die Integration von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren in der Medizin zu vertiefen. Ein zentrales Thema des Vortrags war die Definition und das Verständnis der psychosomatischen Medizin. Diese wird als Methode beschrieben, die psychologische und physiologische Aspekte in der Diagnostik und Therapie von Körperbeschwerden integriert, ohne auf ein bestimmtes medizinisches Fachgebiet beschränkt zu sein. Diese umfassende Herangehensweise unterscheidet die Psychosomatik von der Psychiatrie, da sie über die Betrachtung rein psychischer Störungen hinausgeht.
Ein weiterer Schwerpunkt des Referats lag auf der Problematik der abwertenden Konnotationen, die mit dem Begriff «Psychosomatik» verbunden sind. Historisch wurde der Begriff oft im Sinne von «eingebildeten» oder «nicht realen» Symptomen verwendet, was zu Missverständnissen sowohl in der medizinischen Gemeinschaft als auch in der Öffentlichkeit geführt hat. Studien zeigen, dass «psychosomatisch» in vielen Medienberichten negativ konnotiert wird, was verdeutlicht, wie wichtig Aufklärungsarbeit in diesem Bereich ist.
Prävalenz von somatischen Symptomen
Der Vortrag beleuchtete auch die Prävalenz und Bedeutung von somatischen Symptomen. Diese Symptome sind weit verbreitet, und ihre Anzahl korreliert direkt mit der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen, unabhängig davon, ob sie medizinisch erklärbar sind. Dies unterstreicht die Notwendigkeit eines psychosomatischen Zugangs, insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit multiplen somatischen Symptomen, die oft zwischen verschiedene medizinische Fachrichtungen «fallen».
Auch die Diskussion über die somatische Belastungsstörung und deren Definition im DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition) wurde diskutiert. Die somatische Belastungsstörung wird nicht mehr als Ausschlussdiagnose gesehen, sondern anhand positiver Kriterien diagnostiziert, was eine wichtige Entwicklung in der Psychosomatik darstellt.
Roland von Känel betonte die Bedeutung eines biopsychosozialen Modells, das als Blaupause für Forschung, Lehre und Gesundheitsversorgung dient. Dieses Modell erfordert eine ganzheitliche Anamnese, die die Verbindung zwischen körperlichen Symptomen und biografischen Entwicklungen berücksichtigt. Die Notwendigkeit einer solchen Herangehensweise wird besonders deutlich in der Behandlung von komplexen Störungsbildern wie dem Chronic Fatigue Syndrom (CFS) oder der Fibromyalgie, wo körperliche Bewegung als Therapieansatz diskutiert wird.
Entwicklungen in der Psychosomatik
Abschließend skizzierte Von Känel mögliche zukünftige Entwicklungen in der Psychosomatik, insbesondere die Weiterentwicklung des biopsychosozialen Krankheitsmodells. Hierbei wird die Integration neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse betont, um ein tieferes Verständnis und effektivere Behandlungen für psychosomatische Störungen zu entwickeln. Ein zentrales Postulat ist dabei die Überwindung des kartesischen Dualismus von Geist und Körper, der die Trennung von psychischer und körperlicher Gesundheitsversorgung bisher prägte.
Der Vortrag schloss mit einem Appell an die Fachwelt, Mut zu zeigen und neue Wege zu beschreiten, um eine umfassendere und integriertere medizinische Versorgung zu gewährleisten, die sowohl körperliche als auch psychische Dimensionen berücksichtigt.
Literatur-Empfehlungen:
· Egle U., Heim C., Strauss B., von Känel R. (Hrsg.). (2024). Psychosomatik – neurobiologisch fundiert und evidenzbasiert. Ein Lehr- und Handbuch. 2. erweiterte und überarbeitete Auflage. Kohlhammer.
· Wulsin L. R. (2024). Toxic Stress. How Stress Is Making Us Ill and What We Can Do About It. Cambridge University Press.