Tanztherapie: künstlerische und körperorientierte Psychotherapie

Anlässlich des Syposiums «Flexibilität: Geistige und körperliche Bewegung in der Psychotherapie» am 5. September 2024 haben Kerstin Magnussen, Dipl. Kunsttherapeutin und Dr. med. Felicitas Sigrist die Tanztherapie als eigenständige Therapiemethode aufgezeigt.

Tanztherapie ist künstlerische und körperorientierte Psychotherapie. Sie beruht auf dem Prinzip der Einheit und Wechselwirkung körperlicher, emotionaler, psychischer, kognitiver und sozialer Prozesse. Wie alle Therapieformen ist sie aus der Praxis heraus entstanden, und die Theorien wurden einer wissenschaftlichen Prüfung unterzogen. Auf diese Evidenz wird in diesem Beitrag nicht eingegangen, denn im Fokus soll die Praxis stehen.
Im Rahmen der Emanzipationsbewegungen anfangs des 20. Jahrhunderts wurde Körper und Bewegung aus den stilisierten Tanzformen wie Ballett oder höfische Tänze herausgelöst und der Körper wieder zum Träger von inneren Befindlichkeiten.

In den 1940er Jahren begannen psychiatrische Kliniken in den USA Tanz als Kommunikationsform zu nutzen. Ab den 1980er Jahren etablierte sich die Tanztherapie auch in Europa als verfahrensübergreifende Methode, die bei tiefenpsychologischen, verhaltenstherapeutischen, systemischen und humanistischen Behandlungskontexten eingesetzt wird.

Als eigenständige Therapiemethode verfügt die Tanztherapie über eine spezifische Diagnostik und Interventionstechnik. Am verbreitetsten sind das Laban/Bartenieff Movement System (LBMS) und die daraus abgeleiteten Kestenberg Movement Profiles (KMP). Differenziert werden Raum (-nutzung), Antrieb, Form, Körper-Phrasierung und Beziehung. Es stellen sich Fragen wie: Was bewegt sich wie und wo? Welcher Körperteil führt? Wird der ganze persönliche Raum genutzt?

Die Tanztherapeuten/-innen initiieren ausgehend von ihrem Assessment einen therapeutischen Prozess, indem sie Impulse zur Förderung der Körperwahrnehmung, zur Entwicklung eines realistischen Körperbildes, zur Erweiterung des Bewegungsrepertoires im Sinne der nachreifenden Ich-Entwicklung und eines authentischen selbstbestimmten Ausdrucks geben. Dadurch werden Selbstwahrnehmung, Selbstwirksamkeit, personale und soziale Kompetenzen gestärkt.

Der Zugang über die Sprache des Körpers bietet eine erhebliche Erweiterung der therapeutischen Möglichkeiten im interprofessionellen Kontext. Das Einbeziehen des Körpers und dessen Gedächtnis (body-memory) ermöglicht die therapeutische Berücksichtigung auch vorsprachlicher Erlebnisse oder Aspekte, die verbal noch nicht oder vielleicht nie formuliert werden.

Die Patientinnen und Patienten durchlaufen einen Prozess, der mit der Entwicklung der Tanztherapie vergleichbar ist: Sie lernen ihren Körper als Träger von inneren Regungen kennen und befreien sich nicht mehr so sehr aus gesellschaftlichen Normen. Dafür befreien sie sich aus Einschränkungen durch Ängste, Depressionen oder Verletzungen, können diese nach aussen kommunizieren und schliesslich auch in der Reflexion mental einordnen und lösen.

Literatur-Empfehlungen:
· Bender S. (2020). Grundlagen der Tanztherapie-Geschichte, Menschenbild, Methoden. Psychosozial-Verlag.
· Trautmann-Voigt S. & Voigt B. (2020). Grammatik der Körpersprache ein integratives Lehr- und Arbeitsbuch zum Embodiment. Schattauer-Verlag.
· Wielands A. (Hrsg). (2014). System und Körper – der Körper als Ressource in der systemischen Praxis. Vandenhoeck & Ruprecht-Verlag.
· Schoop T. (1974). … komm und tanz mit mir. Edition Pelikan.

Autor*innen

  • Dr. med. Felicitas Sigrist

    Leitende Ärztin, Leiterin Angebotsentwicklung

  • Kerstin Magnussen

    Tanz- und Bewegungstherapeutin

Unsere Website verwendet Cookies. Durch die weitere Nutzung stimmen Sie der Verwendung zu. Weitere Infos: Datenschutz