Das Swiss Laos Hospital Project existiert seit circa 20 Jahren. Es wurde von Ärztinnen und Ärzten, Pflegefachpersonen und Mitarbeitenden vor allem von Schweizer Spitälern, unter anderem dem USZ und dem Kantonsspital Winterthur, gegründet. Unser Verwaltungsrat Alphons Schnyder präsidiert den Verein. Der «Mental Health»-Ast ist das jüngste Projekt, das seit circa fünf Jahren aktiv ist und die psychiatrische Versorgung verbessern soll. Die ist nämlich bisher beinah inexistent in Laos. Es gibt einen ausgebildeten Psychiater auf circa 7 Millionen Einwohner. Aus unserer Sicht würde man da von einer ausgesprochenen Unterversorgung sprechen. Geplant sind im diesjährigen Projekt ein dreiwöchiger Aufenthalt, wobei zwei Wochen aktive Workshops geplant sind. Zuerst geht es nach Pakse, eine Provinzstadt im Süden von Laos an der kambodschanischen Grenze. Danach leiten wir einen weiteren Workshop in Phonsavan, ein kleiner Ort östlich von Vientiane – der Hauptstadt. In Vientiane ist derzeit die einzige psychiatrische Fachabteilung am Mahosot-Spital, es hat zwölf Betten, die meistens leer stehen. Das Spital ist das grösste Krankenhaus des Landes und wurde von China gebaut. Zudem gibt es noch ein Ambulatorium und man kann sich vorstellen, dass mit der bestehenden Stigmatisierung von psychisch Erkrankten, die wenigen Dienstleistung die es gibt von der Bevölkerung bisher nicht genutzt werden.
Wir, das heisst der Delegationsleiter Toni Berthel, die Psychiaterin aus Winterthur Valeska Jasinsky und ich, sind gemeinsam unterwegs und starten kommende Woche unsere Reise.
7. Oktober 2024
Die letzte Destination unserer Mental-Health-Reise führt uns in die im Osten des Landes gelegene Provinz Xieng Khouang und die dortige Provinz-Stadt Phonsavan mit ca. 50’000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Touristisch bekannt ist die Region dank der nahe gelegenen «Steinkrüge», deren Herkunft und Funktion auch heute noch weitgehend unklar ist.
In Phonsavan steht, das mit vietnamesischer Unterstützung, vor wenigen Jahren neu erbaute Krankenhaus. Vor allem das Kantonsspital Winterthur ist hier mit zahlreichen Fachpersonen aktiv. Diese Woche sind wir eher konsiliar-psychiatrisch unterwegs, indem uns die stationär tätigen Ärztinnen, Ärzte und die Pflegfachpersonen bei kritischen Fällen beiziehen. Im Rahmen einer internen Fortbildung stellen wir zudem das BDD (Bodily Distress Syndrom) vor: Der Körper scheint der ideale «Kommunikations-Kanal» zu sein, um mit den Menschen hier über deren Psyche auf bio-psycho-sozialer Ebene ins Gespräch zu kommen.
Um aufzuzeigen, wie psychiatrische und psychosomatische Syndrome hier verstanden und behandelt werden und was wir mit unserem «westlichen» Blick beitragen können, stellen wir vier exemplarische Fälle vor:
Fall 1: Ein 28-jähriger Patient mit reaktiver amphetamin-induzierter Psychose
Der junge Mann wird uns zunächst in komplett sediertem Zustand im Bett liegend vorgestellt. Man hat ihn mit einer hochdosierten Kombination der Neuroleptika Olanzapin, Largactil und dem Benzodiazepin Valium «ruhig» gestellt, nachdem er von seiner Mutter und Schwester am Vortag in die Klinik gebracht wurde. Angeblich war er in den Tagen davor zunehmend verwirrt und sprach zusammenhanglos. Nach der von uns empfohlenen drastischen Reduktion der Medikamente, interviewten wir den Patienten mit seinen Angehörigen am übernächsten Tag persönlich. In der Anamnese zeigt sich, dass er als Minenarbeiter in den Wochen zuvor täglich als Aufputschmittel eine Substanz namens Ya-Ba (Kombination von Metamphetamin und Coffein) eingenommen hat. Diese illegale aber derzeit in Indochina enorm verbreitete Substanz wird scheinbar in Myanmar oder China produziert und zu Spottpreisen vertrieben. Dies stellt ein grosses Problem dar, wenn Konsumentinnen und Konsumenten wie unser Patient hierunter eine Psychose entwickeln. Wir empfehlen ihm kompletten auf die Substanz zu verzichten, im Wissen wie schwierig es sein wird, wenn er kein anderes berufliches Umfeld findet.
Fall 2: 30-jähriger Patient mit Schizophrenie
Der nächste Patient ist zusammen mit seinem Vater ambulant im Spital. Dieser bringt ihn etwa alle 10 Tage, aus einem ca. 20 km weit entfernten Dorf, per Moped zur Kontrolle bei einer Psychology Nurse. Seit 12 Jahren leidet er an «Stimmen», hat manchmal «wirre Gedanken» im Kopf und kann daher dann nicht schlafen. Seine medikamentöse Behandlung besteht aus dem Neuroleptikum Olanzapin (Neuroleptikum), Diazepam (Valium) und Carbamazepin (Stimmungsstabilisierer). Er ist derzeit weitgehend stabil, kann aber laut seinem Vater nicht alleine in die Stadt, da er das Familienmoped auch schon irgendwo stehen liess und zu Fuss nach Hause gelaufen ist. Wir besprechen, dass er wegen des hohen Transportaufwandes zukünftig nicht mehr alle 10 Tage kommen muss und ihm die Medikamente jeweils für 1 Monat mitgegeben werden. Die Kosten für seine Medikamente für 10 Tage sind 148’000 KIP (was etwa 6.00 CHF entspricht). Dank einer «Familienkarte» bezahlt er jedoch nur einen Bruchteil (18’000 KIP) davon. Die aus Indien stammenden Generika sind wohl etwa 10 m günstiger als in der Schweiz. Es scheint also doch eine Art staatliches Versicherungssystem für schwerer erkrankte Menschen zu geben.
Fall 3: 11-jährige Patientin mit Hyperventilations-Syndrom
Das Mädchen wurde am Vorabend von ihren Eltern zum wiederholten Mal gebracht. Sie beklagt ein plötzlich einsetzendes Taubheitsgefühl im Gesicht und eine «Lähmung» der Zunge. Diese «Anfälle» treten scheinbar immer wieder auf, vor allem wenn es draussen stürmt und sie das Rascheln der Blätter im Wind hört. Auf Nachfrage zeigt sich, dass das Mädchen begleitend tachykard ist und Atemnot hat. Ihr Vater zeigt uns mit seinem Handy Fotos ihrer Hand- und Fussstellung während eines Anfalls (typische Pfötchenstellung): Da keine pathologischen Blutwerte vorliegen vermuten wir ein Paniksyndrom und instruieren das Mädchen und die Eltern sorgfältig was sie selber tun kann (z.B. Rückatmung ihrer verbrauchten Luft), wenn ein Anfall auftritt. Der beteiligte Kinderarzt und die Familie zeigen sich dankbar und erleichtert.
Fall 4: 9-jähriger Patient mit Verdacht auf ADHS
Der Junge kommt mit seinen Grosseltern in die Klinik, da seine Eltern in der Hauptstadt arbeiten. Vor Monaten hatte er einen Unfall und ist seither unruhig und unkonzentriert. Von der Schule haben sie ihn nach Hause geschickt, da er zu unruhig ist, um dem Unterricht zu folgen. Der Patient erfüllt im Aspekt alle Kriterien für ein ADHS. Wir tun uns allerdings schwer, ohne vertiefte Diagnose und die fehlende Aussicht auf eine ambulante Begleitung des Kindes, eine medikamentöse Empfehlung abzugeben. In Laos bestehen offensichtlich auch in der Begleitung von Kindern und Jugendlichen noch grosse Versorgungslücken. Ein Team von Kinder- und Jugendpsychiaterinnen und -psychiatern von «Swiss Laos Hospital Project» ist erfreulicherweise auch in diesem Bereich schon aktiv.
Fazit: Für uns ist eindrücklich, wie bei den Kontakten mit Patientinnen und Patienten die gezeigten Symptome in und von der Familie aufgefangen, ausgehalten und teilweise erlitten werden. Konflikte im Spannungsfeld von individueller Entwicklungswünschen und Ansprüchen der Familie, werden nach Einbindung und zukünftiger Unterstützung meistens mit dem Verzicht auf die eigene, selbstgewählte Lebensgestaltung gelöst. Die auftretenden inneren Spannungen und die gezeigten Symptomen können wir am besten über das Bodily Distress Syndrom gemäss ICD-11 erklären.
Ein Rückblick: Unser Aufenthalt in Laos geht nun zu Ende. Valeska und ich reisen morgen zurück in die Schweiz. Unser Delegationsleiter Toni wird noch einige Tage in Vientiane bleiben und sich mit Verantwortungsträgern treffen, um herauszufinden, wie die psychische Gesundheit in Laos vorangebracht werden kann. Ich hoffe, dass die Stiftung auch in Zukunft noch einiges zur Förderung von «Healthy Living» in Laos beitragen kann. Laos habe ich als ein wunderbar faszinierendes Land mit reichhaltiger Kultur kennengelernt. Wir sind praktisch nur freundlichen und höflichen Menschen begegnet, was sicherlich auch der im Alltag omni-präsenten buddhistischen Religion und Lebenshaltung geschuldet ist.
2. Oktober 2024
Der grosse Tag ist da und wir starten heute am 24.9. mit unseren Workshops am Champasack-Spital in Pakse. Mit etwas mulmigem Gefühl, aber doch Vorfreude und aufgeweckter Stimmung betreten wir gegen 08.45 Uhr den Konferenzraum, der sich schon mit ca. 40 Anwesenden gefüllt hatte. Die Einrichtung des länglichen, etwa 50 m2 grossen Raumes ist sehr einfach, aber funktional, mit schweren Holztischen in der Mitte und massiven Stühlen, die sich kaum anheben lassen; wirkt formell aber beständig. Besonders beeindruckend ist die «Eröffnungszeremonie», die mit einer Ansprache des Spitaldirektors startet und bei der unsere Gastgeberin Soodsada noch einige Worte an die Gäste und uns richtet. Zudem erfolgt schon ein erstes Gruppenfoto aller Teilnehmenden: Was für eine Kraft doch in derlei Ritualen liegt.
Nach diesen Eröffnungsfeierlichkeiten beginnt um 09.15 Uhr der eigentliche Workshop und Toni Berthel startet mit einer Einführung in das Mental Health Thema, indem er die Grundzüge einer psychiatrischen Anamnese, der Psychopathologie und der Diagnosefindung erklärt. Die Klimaanlage läuft auf Hochtouren, was wir uns nicht gewohnt sind und sie mehrfach «heimlich» abschalten, da wir Erkältungen befürchten. Unsere Power-Point-Präsentation wird gleichzeitig auf einen Bildschirm und mit einem wackeligen Beamer an die Wand projiziert. Immer wieder ruckelt die Übertragung, was uns zu Beginn stresst, wir mit der Zeit aber gelassen nehmen. Jeder Satz wird von laotisch auf englisch übersetzt. Toni Berthel hat damit schon Erfahrung und wirkt entspannt. Die Teilnehmenden sind meist aufmerksam und machen sich Notizen.
Anschliessend zeigen Valeska Jasinsky und ich in einem Rollenspiel auf, wie ein psychiatrisches Erstgespräch funktioniert. Valeska Jasinsky spielt Frau Mayer, 48 – Mutter eines 20-jährigen Sohnes, der soeben von zu Hause ausgezogen ist, um in einer anderen Stadt zu studieren. Ich spiele den Psychiater Dr. Fischer, der folgende Anamnese erhebt: Frau Mayer leidet seit einigen Wochen unter körperlichen Beschwerden wie einem Engegefühl in der Brust, Herzklopfen und Schlafstörungen für welche keine körperlichen Ursachen gefunden wurden. Dass es sich dabei um Angstsymptome handelt ist den Teilnehmenden offensichtlich viel weniger geläufig als uns. Scheinbar wird hier jedes Symptom zunächst über den Körper zum Ausdruck gebracht.
Das psychiatrische Erstgespräch gestaltet sich lebendig und kurzweilig, wobei wir immer wieder innehalten müssen, damit unsere beiden Übersetzerinnen und Übersetzer Giny und Hong nachkommen. Danach haben wir Zeit für Fragen, die Teilnehmenden wirken noch zögerlich, da diese Art der Wissensvermittlung Ihnen vermutlich nicht vertraut ist. Den Vormittag beendet Toni mit einer Einführung in die Diagnostik und Behandlung von Angststörungen.
Das Mittagessen wird direkt in den Saal geliefert, jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer schnappt sich eine Plastik-Box mit Fried Rice oder Noodles, scharf gewürzt – dazu gibt es eine Flasche Wasser. Wir sind zufrieden mit unserem Start und gönnen uns in der kurzen Mittagspause eine Erfrischung im nahe beim Spital gelegenen, klimatisierten Café.
Nachmittags spielen wir die Fortsetzung des Rollenspiels (1 Woche danach). Frau Mayer geht es etwas besser, da sie die Methoden zur Selbstregulation (Atemtechniken und PMR) zuhause anwenden konnte und erlebte, dass sie die körperlichen Angstsymptome so etwas regulieren kann. Danach gebe ich eine Einführung in die Prism-Methode, wobei allen Teilnehmenden ein Exemplar ausgehändigt wird. Diese spezielle Prism-Travel-Version aus laminiertem Kunststoff haben wir extra für Laos produziert und können sie als Geschenk den Teilnehmenden übergeben. Zunächst erproben die Teilnehmenden die Prism-Platte aneinander indem sie sich zu zweit gegenseitig zu ihrem Lieblingshobby, der Bedeutung ihres Berufes und zu den beiden wichtigsten Menschen in ihrem Leben interviewen. Etwas aktiv in die Hand zu nehmen und darüber sprechen zu können scheint den Teilnehmenden zu gefallen. Damit beenden wir den ersten Workshop-Tag, sind etwas erschöpft, aber zufrieden, dass das Meiste was wir uns vorgenommen haben gut funktioniert hat. Den Abend verbringen wir drei in einem Rooftop-Restaurant nahe unserem Hotel, regenerieren uns und wagen gleichzeitig einen Ausblick auf den kommenden Tag.
Den zweiten Workshop Tag beginne ich mit einem Input zum Thema «Depressionen» im Kontext von psychischer Gesundheit. Ich zeige dabei auch den Film der WHO zur «Black Dog-Metapher», den die Teilnehmenden noch nicht zu kennen scheinen. Danach lassen wir erneut Frau Mayer und Dr. Fischer auftreten. Dieses Mal geht es ihr deutlich schlechter, da sich nach der abklingenden Angstproblematik überraschend ein depressives Syndrom mit Suizidalität eingestellt hat. Der besorgte Ehemann (Toni Berthel) kommt mit zum Gespräch und wir demonstrieren das Thema einer Depressions- und Suizidalitätsabklärung und nachfolgend intensivierter Begleitung durch Angehörige in einer suizidalen Krise. Erneut kommt das Prism-Instrument zum Einsatz. Unser Publikum wirkt aufmerksam, da ihnen unser «Fall» nun schon vertrauter ist und wir haben Freude an unserem lebendigen und spontanen «Spiel» der Trainings-Situationen. Der Vormittag verging wie im Fluge.
Für den Nachmittag wurden auf unserem Wunsch für eine Live-Demonstration zwei Patientinnen aufgeboten, schlussendlich tauchen jedoch fünf auf, weshalb wir improvisieren müssen: Toni Berthel widmet sich in einer Kleingruppe zwei Patientinnen. Valeska Jasinsky arbeitet mit einer Patientin im grossen Saal mit den übrigen Teilnehmenden und ich sehe zusammen mit Soodsada eine junge Frau, deren Geschichte sehr eindrücklich ist. Ihr Zutrauen wächst im Gespräch dank der umsichtigen Anteilnahme und sorgfältigen Übersetzung durch die Ärztin Soodsada’s, sodass ich es wage die Patientin zu bitten am Folgetag erneut für ein Gespräch zu kommen und ihre Mutter mitzubringen. Für mich besteht die Hypothese, dass das Hauptproblem ihrer psychosomatischen Beschwerden ein Konflikt mit ihrer Mutter ist und ich möchte dieser Frage im Plenum nachgehen.
Am späteren Nachmittag fassen Valeska Jasinsky, Toni Berthel und ich unsere Erkenntnisse aus den Gesprächen zusammen und die Atmosphäre im Saal wird lebendiger. Die Teilnehmenden stellen viele Fragen und wir erhalten den Eindruck, dass ihnen die demonstrierten Interaktionen grosse Freude bereiten und besser illustrieren wie wir arbeiten, als jede Theorie.
Abends machen wir einen Ausflug zu einer nahgelegenen riesigen Buddha-Statue, überqueren dabei den Mekong und essen in einem wunderbaren Restaurant wiederum auf dem Dach zu Abend. Danach schlendern wir noch durch eine Chilbi-ähnliche Veranstaltung von einem bevorstehenden Festival. Nach diesem ereignisreichen Tag sind wir abends müde aber bereichert von unseren Erfahrungen und erlebten Eindrücken.
Am Morgen des dritten und letzten Workshop-Tages eröffnet uns Soodhada die Möglichkeit für einen kurzen Rundgang im Spital. Dieses hat ca. 250 Betten, wobei diese zum grossen Teil rudimentär ausgestattet sind. Das heisst wir sehen Patientinnen und Patienten in Metallbetten oder auf einfachen Matten am Boden liegend und neben ihnen zahlreiche Angehörige, die warten oder mit Kochen beschäftigt sind. Aber auch schwerkranke Patientinnen und Patienten, die unbeweglich auf ihren Pritschen liegen, angehängt an einer Infusion, konnten wir beobachten. Spitalhemden scheint es nicht zu geben. Die Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe ist etwas besser ausgestattet, dort gibt es zwar auch einfachste Mehrbettzimmer, es wirkt jedoch sauberer und u.a. liegen schwangere Frauen parallel gruppiert und werden wie Soodhada uns erklärt in der Reihenfolge ihres Wehen-Fortschritts dem Gebärsaal zugeführt. Insbesondere die Neonatologie hat einige recht moderne Geräte, angeblich auch aus der Schweiz, in denen Frühgeborene gepflegt werden.
Immerhin ist das Spital, welches noch im französischen Kolonialstil gebaut wurde gut durchlüftet, sodass die Temperaturen auch ohne Klimaanlagen und nur weniger Ventilatoren erträglich sind. Als gutes Zeichen erscheint uns zudem, dass wir während der drei Tage keinen Stromausfall zu verzeichnen haben. Ansonsten sind die Verhältnisse aber schon weit entfernt von dem was wir von Mitteleuropa kennen. Die Patientinnen und Patienten sehen aber nicht unzufrieden aus, sind dankbar, dass Ihnen überhaupt geholfen wird. Auch das Personal weiss was es zu tun hat und erscheint motiviert und konzentriert bei der Arbeit.
In unseren Workshop startet dieses Mal Valeska Jasinsky mit einem Input zu den Grundzügen der Gesprächstherapie (Talk Therapy). Diese Einführung erscheint uns wichtig, um das nachfolgende Familiengespräch einzuleiten.
Nach einigen Fragen der Teilnehmenden bitten wir die junge Patientin vom Vortag zusammen mit ihrer Mutter in den Raum. Da mehrere Personen gleichzeitig übersetzt werden müssen, gestaltet sich die Sitzordnung etwas kompliziert. Es klappt aber ausserordentlich gut und die Mutter kann gut ins Gespräch einbezogen werden. Während die Tochter (unsere Patientin vom Vortag), die eigentlich ihren neuen Freund heiraten möchte, unsicher ist, ob sie dies ihrer Mutter antun kann, ist die Mutter besorgt, dass die Tochter, die schon 28 Jahre alt ist, nach früheren Aborten kein Kind mehr bekommen kann und deshalb keinen Mann mehr finden wird. Das Gespräch verläuft eindrücklich und zeigt auf wie stark die kulturellen und teilweise religiösen Verflechtungen in der laotischen Bevölkerung sind. Gleichzeitig erleben die Teilnehmenden wie wichtig trotzdem das offene Gespräch ist und wie heilsam vertrauensvolle «therapeutische» Gespräche mit Familienangehörigen verlaufen können.
Nach einer Pause folgt die letzte Sequenz mit Frau Mayer im Rollenspiel. Bezüglich Suizidalität geht es ihr zu diesem Zeitpunkt schon etwas besser. Sie spricht zum ersten Mal über ihr «Trauma» und die Schuldgefühle gegenüber dem durch einen Verkehrsunfall verstorbenen Vater. Im Alter von 14 Jahren hatte sie kurz vor seinem Unfall einen grossen Streit mit ihm. Dieses Schuldgefühl auszusprechen bringt ihr Erleichterung und wir zeigen wie solch belastete Themen in einer Therapie konstruktiv bearbeitet werden können. Am Nachmittag erörtert Toni Berthel auf Wunsch der Teilnehmenden das Thema «Sucht». Er ist erstaunt, dass die Teilnehmenden angeblich kaum alkoholkranke Menschen oder Amphetamin-Süchtige kennen, wobei wir nicht sicher sind, wie glaubwürdig diese Aussagen einzuschätzen sind. Eine Laotin sagte uns später, dass Alkohol-Konsum dermassen verbreitet ist, dass es kaum mehr als eigenständiges Problem wahrgenommen und die erniedrigte Lebenserwartung hingenommen wird. Zum Schluss der Workshops kommen noch Fragen zu verschiedenen Aspekten im Umgang mit psychischen Erkrankungen auf. Das Thema Suizidalität und insbesondere den Umgang mit Stigmatisierung nehmen wir nochmals auf. Wir betonen, wie wichtig es ist, dass Fachpersonen auf ihre verwendete «Sprache» und auf ihre eigenen Vorurteile achten, um den Umgang mit psychischen Erkrankungen zu erleichtern: Menschen mit psychischen Problemen oder Erkrankungen sollen nicht mehr als «mad» bezeichnet werden. Mit dieser Vision beenden wir um 15.30 Uhr den dreitägigen Workshop.
Gleich danach folgt wiederum eine aufwändige und für uns drei eindrückliche Schlusszeremonie. Der Vize-Spitaldirektor hält eine Rede, wir bedanken uns; es werden viele Fotos geschossen und jeder teilnehmenden Person wird feierlich ein Diplom überreicht, das sie stolz in die Kamera halten.
Der Tag endet mit einem weiteren Ausflug. Soodhada bringt uns und unsere beiden Übersetzerinnen und Übersetzer dieses Mal zu einer Landzunge, wo ein Tempel steht, und wir einen wunderbaren Blick über den Mekong erhalten.
Am Ende dieser drei Tage sind wir alle ausgesprochen zufrieden und beglückt erlebt zu haben, wie wertvoll es ist, das für uns selbstverständliche und mit der Erfahrung gefestigte Wissen an ein interessiertes Publikum mit dermassen unterschiedlichem kulturellem Hintergrund weiterzugeben. Wie es mit Mental Health am Champasack Spital weitergeht, ist offen. Die Vision vom Aufbau einer ambulanten psychiatrischen Poliklinik steht im Raum und eventuell kann das «Swiss Laos Hospital Project» mit Hilfe von Spenden und engagierten Fachpersonen aus Laos und der Schweiz darauf hinwirken, dies in den kommenden Jahren umzusetzen.
24. September 2024
Seit einer Woche bin ich hier in Laos und unsere ersten Workshops hier in Pakse, der südlich gelegenen Provinz-Stadt an der kambodschanische Grenze, starten bald. Die erste Woche ist sehr erfreulich und positiv verlaufen. Meine Tochter und ich waren gemeinsam unterwegs und konnten viele touristische und kulturelle Eindrücke sammeln. Ich führte spontane Interviews mit Menschen, die mir begegnet sind. Ich habe sie gefragt, welche Bedeutung Mental Health für sie persönlich hat und wie sie dieses Thema in ihrem Land einschätzen. Es hat sich gezeigt, dass die Menschen hier in Laos erst jetzt langsam beginnen, sich mit psychischer Gesundheit zu befassen, angeblich vor allem, weil die Menschen in diesem armen Entwicklungsland bisher vom täglichen Kampf um das Nötigste gänzlich absorbiert waren. In der jüngeren Vergangenheit war insbesondere die Corona-Pandemie eine Belastung, indem sie viele Menschen aus der Bahn geworfen und natürlich auch der Wirtschaft und insbesondere dem Tourismus geschadet hat. Fast alle Befragten haben unterschiedliche berufliche Standbeine und wurden dank dessen in der Corona-Zeit, als alles geschlossen war und ein restriktiver Lockdown bestand, kreativ. Jene Personen, die bisher im Tourismus tätig waren, haben neue Ideen entwickelt oder «alte» Standbeine reaktiviert. Zum Beispiel ist einer der befragten Guides in seine Heimatprovinz im Norden von Laos gezogen und hat dort auf der Plantage seiner erweiterten Familie Gummibäume gepflegt und geerntet. Seine Familie wurde wieder zur Bauernfamilie und mussten daher ihren Lebensunterhalt vorübergehend deutlich einschränken. Ein anderer Guide erzählte, dass er neben seiner Tätigkeit im Tourismus eine kleine Rinder- und Klebe-Reis-Farm (der berühmte «sticky» Rice) führt. Er widmete sich während der Corona-Zeit vermehrt dem Reisanbau, während seine Frau oder seine Verwandtschaft sich um die Tiere kümmerten. Der familiäre Zusammenhalt scheint mir bei einem kaum existenten Sozial- und Fürsorgesystem ohnehin der wichtigste Resilienzfaktor zu sein.
Aus den Erzählungen stellte ich zudem fest, dass insbesondere auf dem Land, psychische Gesundheit kaum ein Thema ist. Das Hauptproblem ist offensichtlich die Scham und Scheu, dass die betroffenen Menschen kaum darüber sprechen wollen, wie es Ihnen psychisch geht, da seelische Probleme weitherum als «Schwäche» betrachtet würden, was das Stigma psychischer Erkrankungen unmittelbar maximieren dürfte. Eine wichtige Rolle spielt in der Verarbeitung psychischer Probleme offenbar der Alkoholkonsum: Er ist weit verbreitet, zeigt sich in verschiedenen Formen, besonders im Konsum von «Lao»-Bier und unzähligen Formen von oft selber gebranntem Reisschnaps. Seelische Probleme werden in Laos also im wörtlichen Sinne «runtergeschluckt».
Was mich in diesem Zusammenhang beeindruckt und etwas erschreckt hat, ist wie die sehr präsenten Polizeikräfte mit dem Thema Sucht und Drogen umgehen: Am Polizeigebäude hängt ein grosses Plakat, mit der Inschrift «We have to be resolute, definite, transparent and professional in solving drug problems». Das klingt nach einem sehr restriktiven Vorgehen und die Prävention steht deutlich im Abseits.
In Hotels oder Pensionen ist mir hingegen öfter ein anderer, ermutigender Spruch begegnet: «Please bring your happiness with you, and we will do our best to add even more to it. If you are feeling unhappy, let us know – we will do everything we can to make it better. After all, happiness is all about sharing!» Der «Sharing»-Gedanke im Sinne einer solidarischen Anteilnahme scheint also bedeutsam zu sein; und ein Bewusstsein dafür sich zu fragen: «Wie geht es mir, meinem Gegenüber oder meinen Mitmenschen?» scheint an Bedeutung zu gewinnen. Ich denke wir sind zur richtigen Zeit hier, da sich in Laos immer mehr Menschen bereit zeigen über ihr Inneres zu sprechen.
In den vergangenen Tagen habe ich die beiden anderen Mitglieder des diesjährigen «Mental Health Teams», Toni Berthel und Valeska Jasinsky, in Vientiane getroffen und heute sind wir nun in Begleitung unserer beiden ärztlichen Übersetzer Dr. Chai (Ärztin vom Mahosot-Spital) und Dr. Hong (Neurologe) nach Pakse gereist, um morgen Dienstag mit den Workshops zu starten. Es haben sich 40 Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte aus der Region angemeldet und wir sind sehr gespannt, was uns erwartet.
Unsere Gastgeberin (Dr. Soodsada, Ärztin und Managerin am Bezirksspital Pakse) hat uns erzählt, dass es derzeit allerhand Probleme gibt, mit denen die Bevölkerung zu kämpfen hat. Zum einen wurde die Allgemeinheit hier im Süden von der Corona-Pandemie besonders hart getroffen, zudem kommt es immer wieder zu flutartigen Überschwemmungen und zuletzt bereitet die Inflation erhebliche wirtschaftliche Probleme. Im vergangenen Jahr sei es bei zwei ihrer Spital-Mitarbeitenden zu Suiziden gekommen, worüber man derzeit noch nicht offen sprechen könne.
Wir freuen uns nun auf morgen: Zunächst möchten wir den Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen Überblick geben, was wir unter psychischer Gesundheit verstehen und wie wir denken, dass man diese beeinflussen kann. Danach möchten wir, wenn möglich mit Rollenspielen arbeiten und anhand eines fiktiven, klinischen Fallbeispiels (eine Patientin mit körperbetonten Angstsymptomen) den Kontext erfassen und unser in der Schweiz bewährtes Vorgehen demonstrieren. Die Anliegen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden wir aktiv aufzunehmen versuchen und damit den Wissensaustausch fördern. Wie es rausgekommen ist verrate ich im bald folgenden 3. Teil dieses Blogs.
17. September 2024
Ich melde mich, weil ich nicht schlafen kann – es ist 4.45 Uhr morgens – und dachte, ich fange mit einem ersten Eintrag in meinem «Mental Health Blog» aus Laos an.
Unsere Ankunft in Luang Prabang war gestern sehr speziell. Beim Aussteigen aus dem Flugzeug fühlte es sich an, als würde man in einen vorgeheizten Pizzaofen treten – feucht und heiss, wie eine drückende Wand aus Hitze. Zunächst habe ich schnell meine überflüssigen Jacken und Pullover ausgezogen, und als Schutzreflex gleich eine Kopfbedeckung und Sonnenbrille herausgeholt. Diese Reaktionen waren angezeigt und sofort spürbar entspannend.
Ein markanter Eindruck war die Entschleunigung, die bei diesen klimatischen Bedingungen einsetzt. Alles verlangsamt sich. Das spiegelt sich auch im Verhalten der Menschen wider – ihre Bewegungen wirken betont ruhig, achtsam und wenig gehetzt. Diese Gelassenheit zeigt sich, bisher zumindest, auch im Strassenverkehr: Die Autos und Motorräder fahren relativ langsam, und Helme scheinen hier keine Pflicht zu sein.
Besonders bemerkenswert ist die natürliche Freundlichkeit der Menschen. Sie wirkt keineswegs aufgesetzt. Auch wenn die Einheimischen in ihrer Rolle als Dienstleister auftreten und ihre Waren anbieten, geschieht dies in keiner Weise aufdringlich. Wir besuchten den Nachtmarkt in Luang Prabang. Die Menschen dort verhielten sich sehr zurückhaltend, lächelten und priesen ihre Produkte nicht offensiv an.
Ich habe auch das soziale Leben beobachtet – Mütter mit Schulkindern, Jugendliche in Gruppen und vor allem junge Frauen und Teenager auf ihren Elektro-Motorrädern, oft zu dritt auf einem Roller, strahlen Autonomie und Selbstbewusstsein aus. Auch die jungen Männer haben eine ruhige, aber dennoch lebendige Ausstrahlung.
Was mir besonders ins Auge gefallen ist, ist die allgegenwärtige Präsenz des Smartphones. Vor 25 Jahren, als ich das letzte Mal in Asien war, war das ganz anders. Das Smartphone dient der Ablenkung aber auch der Dokumentation. Beispielsweise sieht man, wie die Menschen in Tempeln an Gottesdiensten teilnehmen, beten und sich gleichzeitig mit ihren Smartphones filmen. Die Betenden baten sogar die Mönche, sie beim Beten zu filmen – und umgekehrt, um diese besonderen Momente dokumentieren. Diese Szenen hatten etwas sehr spielerisches und man kann feststellen, dass die technischen Hilfsmittel nicht nur die Zerstreuung fördern, sondern auch die Gemeinschaft.
Der Eindruck der gelebten Religion ist hier sehr stark. Die Mönche in ihren leuchtend orangefarbenen Roben gehen ihren Ritualen nach. Es gibt auch eine starke Affinität zu Yoga. Jana und ich haben schon ein wenig Yoga im Hotelzimmer gemacht, um unsere müden Glieder zu strecken. Die Gebetsbewegungen und Rituale in den Tempeln ähneln tatsächlich einigen Yoga-Posen, zum Beispiel dem «herabschauenden Hund» – es ist kein Wunder, dass diese Praktiken hier so gut integriert sind, da sie auf Zentrierung und Entspannung abzielen.
Insgesamt wirken die Menschen hier sehr zufrieden. Der Alltag scheint in etwa zu 90 % entspannt und harmonisch zu verlaufen. Natürlich gibt es auch hier etwa 10 % an auffälligen sozialen Phänomenen, die ein bisschen beunruhigend wirken, aber das scheint normal zu sein.