Fallbesprechung: Die Panikstörung als Teil einer komplexen Emotionsregulationsstörung

Die Emotion Angst ist für uns Menschen eine ständige Begleiterin im Leben. Sie ist ein wichtiges Signal für Gefahr, jedoch kann sie ihren realen Bezug verlieren, übertreiben und so zu einer manifesten Störung mit Beeinträchtigung in sämtlichen Lebensbereichen werden.

Das Behandlungsteam v.l.n.r.: Kerstin Magnussen, Dr. med. Peter Peiler, Christina Notter, Jacqueline Aerni, Karin Lorenz, Stephanie Kuhn. Es fehlen: Uwe Geiger, Willow Rose Gahm

In der Fähigkeit, Angst zu regulieren, spielen (epi)genetische, insbesondere aber Lernerfahrungen durch Einflüsse in der individuellen Lebensentwicklung im Sinne von Prägungen eine wesentliche Rolle. In der stationären Psychiatrie ist es typisch, dass Angststörungen nicht isoliert als Einzeldiagnosen präsentiert werden, sondern komorbid mit weiteren Störungen der Emotionsregulation assoziiert sind. In der Behandlungsplanung ist es essentiell, ein ganzheitliches und individuelles Störungsmodell zu entwickeln, um hieraus notwendige Therapiemodule gezielt einzusetzen.

Panik und funktionelle Körpersymptome

Der Fall unserer Patientin, Frau M., unterstreicht die Komplexität der Emotionsregulationsproblematik sowie die Wirksamkeit eines individualisierten modularen und interprofessionell umgesetzten Behandlungsansatzes: Die primäre Zuweisung erfolgte aufgrund einer Panikstörung. Primär seien fluktuierend Lähmungen und Sensibilitätsstörungen ihrer Gliedmassen aufgetreten, für die eine somatische Ursache nicht nachgewiesen werden konnte. Dies habe zu einer grossen Verunsicherung geführt, so dass sie sich aus Angst vor einem plötzlichen Kraftverlust in den Beinen nicht mehr alleine aus der Wohnung traute. Sie habe ständiges Gedankenkreisen, könne nicht stillsitzen, laufe stattdessen in der Wohnung umher und erleide nahezu tägliche Panikattacken mit Schweissausbrüchen, Durchfall, Herzrasen und fluktuierend Lähmungen und Sensibilitätsstörungen ihrer Gliedmassen. Die Panikattacken würden durch verschiedene Trigger, Musik oder auch Gerüche, aber auch ohne jeden Anlass ausgelöst. Auch sei sie sehr affektlabil, ihre Stimmungen könnten sehr schnell schwanken, dann müsse sie oft plötzlich weinen. Hinzu kämen regelmässige Migräneattacken, die über mehrere Tage anhalten könnten.

Komplexe posttraumatische Belastungsstörung

In der weiteren Exploration offenbarten sich eine kindliche Bindungstraumatisierung sowie massive Gewalterfahrungen im Rahmen einer früheren Partnerschaft. Damit verbunden ist eine lange Vorgeschichte mit Ängsten und depressiven Krisen. Die beschriebenen neurologischen Symptome im Sinne von Lähmungen und Sensibilitätsstörungen werteten wir ebenso wie die Panikproblematik als dissoziative Symptomatik bei komplexer posttraumatischer Belastungsstörung. Als weiteren Vulnerabilitätsfaktor konnte eine seit der Kindheit bestehende Aufmerksamkeits- / Hyperaktivitätsstörung identifiziert werden.

Anpassung der Medikation

Pharmakologisch konnte eine Therapie mit Lisdexamphetamin erfolgreich etabliert werden, die zu einer deutlichen Verbesserung von Überaktivität und Desorganisation führte, insbesondere erschien die Patientin ruhiger, weniger ängstlich, aufmerksamer und sie zeigte eine bessere Introspektionsfähigkeit für emotionale Schwankungen. Gleichzeitig wurde die vorbestehende affektiv regulierende Medikation mit 75 mg Trazodon unverändert fortgesetzt.

Intensive pflegerische Bezugspersonenarbeit

In der ersten Therapiephase war die Patientin noch sehr von ihren Ängsten eingenommen, so dass sie therapeutische Gruppen vermeiden oder abbrechen musste. Durch behutsame und unterstützende Zuwendung konnte sie zunehmend Sicherheit gewinnen und erste Erfolge erzielen, indem sie bezüglich der Teilnahme an den Therapien ihre Ängste abbauen und neue Erfahrungen sammeln konnte. Mithilfe der intensiven pflegerischen Bezugspersonenarbeit mit Erarbeitung einer Skillskette und Vor- und Nachbesprechungen von selbstständig durchgeführten Angstexpositionen (Fahren in ÖV, alleine spazieren gehen) war Frau M. hinsichtlich ihrer Ängste zunehmend in der Lage, sich selbstständiger ausserhalb eines sicheren Raumes zu bewegen. Spezialtherapien zur Förderung der Selbstwahrnehmung, Spannungsund Emotionsregulation, insbesondere ihre Erfahrungen in der Malund Biofeedback-Therapie, trugen wesentlich zu einem stetigen Prozess der Stabilisierung bei.

In der Psychotherapie erfolgte der Einstieg durch eine Psychoedukation anhand des Stress-Vulnerabilitäts-Modells der Angst, begleitet durch Compassion-fokussierte Achtsamkeitsarbeit. In einem nächsten Schritt folgte die Bearbeitung ihrer Lebenslinie unter Einbezug ihrer traumatischen Lebenserfahrungen, verknüpft mit der Entwicklung ihres persönlichen schematherapeutischen Modusmodells mit Ausbildung eines fordernden und strafenden Kritikermodus sowie Bewältigungsmodi in Form von Erduldung / Aufopferung, distanzierter Beschützerin und Selbstberuhigerin. Begleitet wurde die Einzeltherapie durch die therapeutischen Gruppen zum Thema Angst und Psychosomatik.

Beruhigung des emotionalen Erlebens

Die einzelpsychotherapeutische Arbeit war im Verlauf stark durch die Bearbeitung ihrer Traumageschichte geprägt. Die Bearbeitung ihrer Lebenslinie war affektiv stark aktivierend und brachte verdrängte Erinnerungen wieder ins Bewusstsein. Stabilisierend wirkten Compassionorientierte Achtsamkeitsübungen, die sie selbstständig anwendete. Schliesslich konnten auch traumabezogene Imaginationssitzungen nach IRRT (Imagery Rescripting und Reprocessing Therapy) durchgeführt werden, die ihr halfen, ihre Traumaerinnerungen emotional zu integrieren. Die Patientin konnte eine deutliche Beruhigung ihres emotionalen Erlebens wahrnehmen und Vertrauen in ihre Stärken und Ressourcen aufbauen. So gelang es ihr, ihren Bewegungsradius und ihre Selbstständigkeit stetig zu erweitern und Selbstvertrauen für neue Lebensziele zu schöpfen.

Autor*innen

  • Dr. med. Peter Peiler

    Leitender Arzt, Leiter Schwerpunkt Angsterkrankungen

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