Interview: Wenn ambulante Angstbehandlung nicht mehr genügt

Thomas Steiner, MSc, Fachpsychologe für Psychotherapie FSP beantwortet im Interview Fragen über die ambulante Behandlung von Patientinnen und Patienten mit einer Angsterkrankung. Er erklärt, in welchen Situationen er einen stationären Aufenthalt vorschlägt, und ob er eine Zunahme von Angsterkrankungen beobachtet.

Thomas Steiner

Wann ist eine stationäre Behandlung bei Angsterkrankungen angezeigt?

Ausschlaggebend sind für mich der Schweregrad und die funktionale Beeinträchtigung. Bei häufigen und anhaltenden Panikattacken oder generalisierter Angst, ausgeprägtem Vermeidungsverhalten oder wenn mehrere Lebensbereiche betroffen sind, reicht eine ambulante Behandlung oft nicht mehr aus. Auch mangelnde soziale Unterstützung, die Notwendigkeit einer medikamentösen Neueinstellung oder der Schutz vor einem belastenden Umfeld können Gründe für eine stationäre Einweisung sein – ebenso wie therapeutische Grenzen im ambulanten Setting.

Wie erleben Sie die Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Therapie?

Die Zusammenarbeit mit der Privatklinik Hohenegg funktioniert sehr gut. Ich empfehle häufig ein Vorgespräch in der Klinik, um zu prüfen, ob das Setting für die betroffene Person passend ist. In der Regel lässt sich das unkompliziert organisieren, und ich unterstütze bei der Terminvereinbarung.

Wann sehen Sie den grössten Nutzen einer stationären Behandlung?

Insbesondere dann, wenn ambulante Massnahmen keine nachhaltige Stabilisierung bewirken. Oft zeigt sich zunächst ein Fortschritt, dann folgen Rückfälle und zunehmende Frustration. Bei Dekompensation, sozialen Rückzügen oder Komorbiditäten wie Depression, Suizidalität oder Substanzgebrauch – insbesondere von Benzodiazepinen – ist eine stationäre Behandlung häufig indiziert. Ich erinnere mich an eine Patientin ohne Vorerfahrung mit Psychotherapie, die eine stationäre Behandlung zunächst ablehnte – letztlich war diese ein entscheidender Wendepunkt.

Welche therapeutischen Verfahren im stationären Setting erachten Sie als besonders wirksam?

Bei phobischen Störungen sind die kognitive Verhaltenstherapie und Exposition zentral. Ergänzend bewähren sich Achtsamkeit, MBSR, Entspannungsverfahren und gegebenenfalls eine medikamentöse Unterstützung resp. Umstellung. Gruppentherapie kann hilfreich sein, sofern eine gewisse Homogenität der Gruppe besteht. Körperliche Aktivität ist ebenfalls ein wichtiger Faktor: Bewegung stärkt die Selbstwirksamkeit und reduziert Anspannung. Auch der Austausch mit Mitpatientinnen und -patienten kann im stationären Rahmen sehr unterstützend wirken.

Wie wichtig ist Ihnen der Austausch mit der Klinik während des Aufenthalts?

Nach der Überweisung halte ich mich bewusst zurück. Ich nehme während des Aufenthalts keinen Kontakt zur Klinik oder zur Patientin bzw. zum Patienten auf – es sei denn, der Aufenthalt dauert länger als fünf Wochen. Dann ist eine kurze Rückmeldung hilfreich. Wichtig ist mir ein zeitnaher Austrittsbericht oder alternativ ein kurzes Telefonat, um die weitere ambulante Begleitung sinnvoll planen zu können. Die Zusammenarbeit mit der Hohenegg ist in der Regel sehr zuverlässig.

Wie gehen Sie mit Patientinnen und Patienten um, die eine stationäre Behandlung ablehnen?

Wenn die Indikation besteht und die therapeutische Beziehung tragfähig ist, lässt sich eine stationäre Behandlung meist gut vermitteln. Ich lege Wert auf eine transparente Kommunikation der Gründe, zeige auf, wie ein stationäres Setting stabilisieren kann, und nehme individuelle Lebensumstände ernst. Entscheidend ist, dass die Patientinnen und Patienten spüren, dass es um Unterstützung geht – nicht um Kontrolle oder Entlastung des Therapeuten.

Beobachten Sie eine Zunahme von Angsterkrankungen?

Ja, insbesondere Panikattacken bei jüngeren Menschen treten häufiger auf. Oft bestehen diffuse Ängste ohne konkreten Auslöser, begleitet von Symptomen wie Herzklopfen, Unruhe oder Schlafstörungen. Belastungen wie die Klimakrise, gesellschaftliche Unsicherheiten oder Zukunftsängste wirken dabei verstärkend, auch wenn sie nicht immer explizit benannt werden. Diese Entwicklungen spiegeln sich zunehmend in der klinischen Praxis.

Autor*innen

  • Sabine Claus

    Leiterin Marketing & Kommunikation

Unsere Website verwendet Cookies. Durch die weitere Nutzung stimmen Sie der Verwendung zu. Weitere Infos: Datenschutz