Körper und Seele – Verletzlichkeit im medizinischen Dialog

Im Rahmen des Hohenegger Symposiums vom 4. September 2025 teilten lic. phil. Eliane Schmid, Dr. med. Ruedi Schweizer und PD Dr. med. Anke Reitter FRCOG in einem eindrücklichen Beitrag ihre Erfahrungen mit den vielen Facetten von Verletzlichkeit, denen sie in der Arbeit an der Frauenklinik begegnen. Dabei wurde auch die eigene Verletzlichkeit der behandelnden Fachpersonen offen und bewegend thematisiert.

v. l. n. r. Ruedi Schweizer, Eliane Schmid und Anke Reitter

Die Geburt steht als kritisches Lebensereignis paradigmatisch für eine Phase ausgeprägter Verletzlichkeit. Geradezu exemplarisch stellt sie eine Übergangskrise dar – ganz im ursprünglichen Wortsinn von «Krise als Wendepunkt, (Ent-)scheidung oder Trennung». Daniel Stern und Nadja Bruschweiler-Stern nennen in ihrem Buch «Geburt einer Mutter» den dadurch entstandenen Möglichkeitsraum eine «Werkstatt der Eltern-Kind-Interaktion», in der neue Wege des Umgangs mit sich selbst und anderen erprobt oder überarbeitet werden können.

Die Verletzlichkeit und die damit verbundene verstärkte Empfänglichkeit für innere und äussere Wahrnehmungen beginnen jedoch bereits früher, beim Kinderwunsch und in der Schwangerschaft. Tritt in diesen Phasen Unerwartetes auf, zum Beispiel ein unerfüllter Kinderwunsch, ein pathologischer Screeningtest, ein auffälliger Ultraschall, eine komplikationsreiche Geburt oder gar ein Kindsverlust, wird die Resilienz der Eltern maximal gefordert. Seitens der Behandlerinnen und Behandler wird dann eine sorgfältige Kommunikation bedeutsam, mit echt empathischem Eingehen auf die Betroffenen und der Bereitschaft, das Narrativ der Mutter und des Paares verstehen zu wollen. Dies bedeutet auch, genau nachzufragen, die subjektiven Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen zu ergründen und gemeinsam Möglichkeiten gegeneinander abzuwägen. Es bedingt ebenso ein sorgfältiges Abstimmen innerhalb des interprofessionellen Teams. Eine Integration aller Perspektiven zu einem gemeinsamen Ganzen ist gerade bei ethisch komplexen Fragestellungen wichtig und stellt gewissermassen die Essenz einer gelebten biopsychosozialen Medizin dar.

Häufig finden wir «Professionelle» uns in der Rolle, individuelle Wirklichkeitskonstruktionen einer unbeschwerten Schwangerschaft, einer Wunschgeburt und ein gesund geborenes Kind zu zerstören – und so auch «verletzend» zu sein. Wir selbst sind also gefordert und letztlich mit unserer eigenen Verletzlichkeit konfrontiert.

Verletzlichkeit sollte deshalb über die Patientinnenperspektive hinausgedacht werden: Neben dem naheliegenderweise betroffenen und verletzlichen Familiensystem ist das professionelle Helfersystem immer mitbetroffen: Ein Spätabort, eine schwierige Geburt oder ein Kindstod löst beim Behandlungsteam Reaktionen aus, bisweilen auch belastende und anhaltende Symptome.

Das Bewusstsein sowie die Akzeptanz, dass wir als Helfende, Therapierende und Professionelle ebenso verwundbar sind, hat zugenommen, kann aber innerhalb der institutionellen Medizin weiter verbessert werden. Es stellt sich auf noch höherer Integrationsebene die Frage, inwieweit das moderne Konstrukt der «resilienten Organisation» mit einer radikalen Akzeptanz der Verletzlichkeit aller in ihr arbeitenden und behandelten Menschen in Verbindung gebracht werden könnte oder müsste.

Literaturempfehlungen:

  • Forster F., Häne A. (2025). «Psychotherapie in der Peripartalzeit». Hogrefe. (tbp)
  • Rohde A., Hocke A., Dorn A. (2018). «Psychosomatik in der Gynäkologie». Schattauer.
  • Stern D. N. und Bruschweiler-Stern N. (2014). «Geburt einer Mutter». Brandes + Apsel Verlag.
  • Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin NEK Stellungnahme Nr. 30/2018 Bern, 13. Dezember 2018 Zur Praxis des Abbruchs im späteren Verlauf der Schwangerschaft – Ethische Erwägungen und Empfehlungen.
  • «Frühgeburt an der Grenze der Lebensfähigkeit», S2k Leitlinie, AWMF (https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/024-019).
  • Garten L, von der Hude K. Palliativversorgung im Kreißsaal. Z Geburtsh Neonatol 2016; 220: 53–57.

Autor*innen

  • Dr. med. Ruedi Schweizer

    Ärztlicher Leiter, Zentrum für psychische Gesundheit der Privatklinik Hohenegg am Spital Zollikerberg

  • lic. phil. Eliane Schmid

    Leitende Psychologin

  • PD Dr. med. Anke Reitter FRCOG

    Frauenärztin mit Schwerpunkt feto-maternale Medizin

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