Interpersonelle Therapie – Gemeinsam mit Verletzlichkeit arbeiten

Im Rahmen des Hohenegger Symposiums vom 4. September 2025 erläuterte Dipl. Psych. Doris Versolatto die Interpersonelle Therapie und machte deutlich, dass ihre Wirksamkeit eng mit Erfahrungen von Verletzlichkeit zusammenhängt.

Doris Versolatto

Die Interpersonelle Psychotherapie (IPT) wurde ursprünglich als manualisiertes Kurzzeitverfahren zur Einzelbehandlung unipolarer depressiver Störungen entwickelt. Ihre Wirksamkeit ist durch zahlreiche kontrollierte Studien belegt, weshalb sie in nationalen und internationalen Versorgungsleitlinien ausdrücklich empfohlen wird. In den vergangenen Jahrzehnten konnte zudem gezeigt werden, dass sich das Therapiekonzept auch bei weiteren psychischen Störungsbildern, etwa Angsterkrankungen oder posttraumatischen Belastungsstörungen, bewährt.

Die zentrale theoretische Annahme der IPT besagt, dass psychische Symptomatik in einem engen, wechselseitigen Zusammenhang mit aktuellen interpersonellen Belastungen und Verletzungen steht. Das therapeutische Vorgehen zielt folglich nicht primär auf intra-psychische Konflikte oder kognitive Verzerrungen ab, sondern auf die Verbesserung gegenwärtiger Beziehungsmuster. Die IPT integriert Methoden unterschiedlicher Therapieschulen, wobei diese kontextspezifisch adaptiert und strategisch ausgerichtet werden. Charakteristisch ist eine aktive, unterstützende und hoffnungsstiftende Haltung der Therapeutin bzw. des Therapeuten, der sich im Sinne eines «Advokaten» auf die Seite der Patientin bzw. des Patienten stellt.

Therapieziele umfassen neben der Symptomreduktion vor allem die Steigerung interpersoneller Kompetenz, die Förderung adaptiver Bewältigungsstrategien sowie die Verbesserung der Beziehungsqualität.

Während in der Einzeltherapie typischerweise ein Fokusbereich identifiziert und bearbeitet wird, überträgt die Gruppenversion der IPT diese Prinzipien auf ein interaktives Setting. Hierbei stehen vier empirisch abgeleitete Problembereiche (Foki) im Mittelpunkt: Einsamkeit/Isolation, interpersonelle Konflikte, Rollenwechsel sowie arbeitsbezogene Belastungen. Die Gruppensituation eröffnet dabei spezifische Potenziale, da interpersonelle Muster nicht nur thematisiert, sondern unmittelbar im Hier und Jetzt erlebbar werden.

Eine Schlüsselrolle nimmt das Konzept der Verletzlichkeit ein. Dieses umfasst sowohl biologische, psychologische und soziale Dimensionen individueller Verwundbarkeit als auch deren gruppendynamische Implikationen. Verletzlichkeit wird nicht ausschließlich als Risiko, sondern auch als Ressource verstanden: Sie kann die Basis für authentische Interaktion, emotionale Korrekturerfahrungen und nachhaltiges Beziehungswachstum bilden. Im geschützten Rahmen der Gruppe erhalten die Teilnehmenden die Möglichkeit, eigene Verletzlichkeit zu explorieren, funktionale Coping-Strategien zu entwickeln und neue interpersonelle Kompetenzen zu erproben.
Die Wirksamkeit der Gruppentherapie lässt sich u. a. durch die Reduktion von Scham und Sensitivität erklären, die eng mit Erfahrungen von Verletzlichkeit verknüpft sind. Insgesamt zeigt sich, dass Verletzlichkeit nicht vermieden, sondern gezielt genutzt werden sollte, um Resilienz, interpersonelle Kompetenz und psychische Stabilität zu fördern.

 

Literaturempfehlungen:

  • Faßbinder E., Klein JP., Sipos V., Schweiger U. (2015). Therapie-Tools Depression. Beltz.
  • Kiyhankhadiv A., Schramm E. (2017). Manual zur Interpersonellen Modulgruppe. Südwestdeutscher Verlag für Hochschulschriften.
  • Schramm E., Thiel N., Zehender N. (2022). Interpersonelle Psychotherapie in der Gruppe (2. Auflage). Schattauer.
  • Schramm E. (2019). Interpersonelle Psychotherapie (4. Auflage). Schattauer.

 

Autor*innen

  • Dipl. Psych. Doris Versolatto

    Leitende Psychologin

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