Faszinierende Placebo-Forschung

Cosima Locher ist Forscherin an der Universität Zürich. Sie gibt Einblicke in ihr hochinteressantes Fachgebiet der Wirkung von Placebo und enthüllt eine überraschende Erkenntnis: Auch ein Placebo, dass als solches gekennzeichnet ist, ist wirksam.

Überraschende Erkennntnis aus der Placebo-Forchung: Auch ein Placebo, dass als solches gekennzeichnet ist, ist wirksam.

Foto von Towfiqu barbhuiya auf Unsplash

Interview mit der Forscherin Dr. phil. Cosima Locher

Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung seit vielen Jahren mit den klinischen Anwendungen und der Wirkung von Placebos. Was bedeuten für Sie Placebos?

Cosima Locher: Placebos haben in den letzten Jahren einen starken Wandel erfahren. Ich erinnere mich an meine Studienzeit, als Placebos für viele einfach Zuckerpillen waren, die wenig bewirkten. Seit ich Placebos erforsche, hat sich das verändert. Placebos wirken je nach Anwendung fast so stark wie gängige Medikamente. Das fasziniert mich.

Worauf ist das zurückzuführen?

Es sind die «impliziten Dinge», die eine Wirkung entfalten, der so genannte implizite Kontext: Vorgänge, die sich beim Patienten, bei der Patientin innerlich abspielen. Welche Erwartungen stelle ich an eine Behandlung? Welchen Mindset, welche Haltung bringe ich mit?

Auch äussere Faktoren sind von Bedeutung.

Das ist korrekt, der externe Kontext. Dazu gehören das Ambiente der Klinik, die Natur, der Umgang untereinander sowie Rituale. Das alles wirkt im Zusammenspiel mit Placebos, beeinflusst die Heilung. Die Privatklinik Hohenegg ist in dieser Hinsicht vorbildlich. Das Umfeld ist sehr schön, die Patienten fühlen sich wohl hier, und Rituale sind wichtig. Entscheidend für den Heilungsprozess sind aber auch die Beziehungen – zwischen Patienten, Ärztinnen, Pflegenden, Therapeuten. Die Forschung zeigt, dass Beziehungen die Therapie stark beeinflussen.

Als wissenschaftliche Mitarbeiterin forschen Sie an der Universität Zürich und an der Hohenegg. Was beinhaltet Ihre Forschung an unserer Klinik?

Ich forsche hier nicht «im Elfenbeinturm», sondern gleichsam in einem naturalistischen Design. Die Hohenegg ist schweizweit einzigartig, weil sie die erwähnten Kontextfaktoren ins Zentrum rückt: Umfeld, Beziehung, Rituale. Ich erforsche die Wirkung dieser Kontextfaktoren, welche die Placeboeffekte stärken beziehungsweise bedingen. Ich beobachte den klinischen Alltag, befrage Patientinnen und Patienten sowie Ärzte und Therapeutinnen. Zurzeit erforsche ich die Wirkung von Beziehungen, und da zeigt sich, dass nicht nur die Beziehungen zwischen Fachpersonal und Patienten relevant sind, sondern auch die Beziehungen unter den Patientinnen und Patienten oder zu weiteren Angestellten der Hohenegg: Küchenpersonal, Raumpflegende, Sekretariatsmitarbeitende. Sie alle prägen die Hohenegg, machen den viel zitierten «Hohenegger Geist» aus.

Wie gehen Sie bei Ihrer Forschung vor?

Zum einen betreibe ich qualitative Forschung. Ich führe Gespräche mit Patienten, Ärztinnen, Pflegepersonal und anderen Mitarbeitenden der Klinik. Ich frage sie: «Was ist wichtig in einer Behandlung? Was bedeutungsvoll? Wo findet Heilung statt?» Das sind auf den ersten Blick banale Fragen, aber die Antworten sind oft überraschend und zeigen, dass Heilung nicht einfach Linderung der Symptome bedeutet. Ich erhalte Antworten wie: «Ich habe mich durch eine Therapie und den Klinikaufenthalt einem Ganzen zugehörig gefühlt. Ich bin nicht allein mit meinem Leiden. Endlich konnte ich Distanz schaffen zu meinem Zuhause, zu meinem Umfeld, zu meinen Sorgen.» Zum anderen arbeiten wir mit validierten Fragebögen, führen also systematische Befragungen durch und können so Vergleiche mit der Forschung anderer Institutionen anstellen.

Was fasziniert Sie an der Forschung?

Meine Forschung im universitären Kontext ist sehr methodengeleitet. Daten, Experimente, Metaanalysen sind hier Stichworte. Dieses systematische Vorgehen ist wichtig, faszinierend und zeichnet wissenschaftliches Arbeiten ja auch aus. Das «naturalistische Vorgehen» an der Hohenegg wiederum ist offener. Die wenig strukturierten Gespräche führen zu völlig unerwarteten Erkenntnissen und zeigen mir Wissenslücken auf. Dadurch kann ich meine Forschungsfragen immer wieder neu justieren.

Wir sagen ihnen, dass das Medikament ein Placebo ist. Wir erklären ihnen, weshalb es dennoch wirken kann.

Dr. phil. Cosima Locher

Wie können Sie Erkenntnisse, die Sie an der Hohenegg gewinnen, für Ihren Forschungsschwerpunkt Placebo nutzen?

Placebo hat vermeintlich viel mit Täuschung zu tun. Patientinnen und Patienten denken, dass sie ein «richtiges» Medikament erhalten. Es gibt unterdessen Bestrebungen, die Patienten nicht zu täuschen. Wir sagen ihnen, dass das Medikament ein Placebo ist. Wir erklären ihnen, weshalb es dennoch wirken kann. Wir sind völlig transparent und ehrlich – Faktoren, die, wie die Forschung zeigt, zur Heilung beitragen. An der Hohenegg habe ich auch bestätigt bekommen, wie bedeutsam Rituale sind. Medikamente zum Beispiel werden den Patienten in Ergänzung zum ausführlichen Gespräch zusammen mit der so genannten Medikarte verabreicht, einer schön gestalteten Karte, auf der das Wichtigste zum Medikament verständlich beschrieben ist. Zudem können die Patienten auf der Karte eigene Beobachtungen zur Medikamenteneinnahme festhalten. Das Medikament wird als nicht einfach «lieblos verabreicht», sondern die Abgabe ist in ein Ritual eingebunden. Aus der Placeboforschung wissen wir, wie erwähnt, dass Rituale den Placeboeffekt stärken. Relevant ist auch, welche Bedeutung ich dem Akt der Medikamenteneinnahme zuordne. Man spricht von Meaning Response. Schliesslich übernimmt ein Patient durch die bewusste Medikamenteneinnahme, die Achtsamkeitsfokussierung, einen aktiven Part im Geschehen und erfährt dadurch Autonomie.

Die Patientinnen und Patienten sind auch Experten.

Das ist sehr wichtig. Wir sollten wegkommen von der Haltung, dass nur wir Therapeutinnen die Experten sind. Die Patienten wissen am besten Bescheid über ihr Leiden. Das müssen wir in Forschung und Therapie berücksichtigen. Wir können vermeintlich grandiose Ideen haben. Wenn diese von den Patientinnen und Patienten im therapeutischen Prozess nicht getragen werden, weil Massnahmen für sie wenig plausibel sind, funktioniert es nicht. Die therapeutische Arbeit soll partnerschaftlich erfolgen, dazu gehören zum Beispiel auch die Einsicht in die Akten. Man ist gemeinsam unterwegs. Das paternalistische Therapiemodell ist passé.

Interview: Sabine Claus
Aufgezeichnet von Rolf Murbach

Autor*innen

  • Dr. phil. Cosima Locher

    Senior Researcher Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik an der Universität Zürich

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