Online-Beratung

Mit dem ersten Lockdown musste auch die Privatklinik Hohenegg die Erstgespräche mit angehenden Patientinnen und Patienten online oder telefonisch durchführen. Lesen Sie hier mehr über diese ersten Erfahrungen mit online-Formaten.

Trotz anfänglicher Skepsis kommen Therapeutinnen und Therapeuten zu einem positiven Fazit: Distanz-Beratung ist möglich.

Foto von Julia M Cameron auf Pexels

Während des Lockdowns waren plötzlich Gespräche vor Ort nicht mehr erlaubt. Telefonate und Video-Konferenzen boten sich als Alternativen an. Die anfängliche Skepsis sowohl auf Seiten von Therapeut/innen und Patient/innen war gross. Zugleich beschleunigte der Lockdown unser Lernen in der Anwendung von Distanz-Beratung. Inzwischen finden die meisten  Abklärungsgespräche wieder «face to face» statt, doch auch die Online-Formate sind vereinzelt geblieben – je nach Bedürfnis und Möglichkeit der Interessenten. Viele wünschen sich ein Gespräch vor Ort, auch damit sie einen Eindruck der Klinik erhalten. Andere sind froh, dass sie sich aufgrund des eventuellen Wiederaufflammens der Pandemie keiner Ansteckungsgefahr aussetzen müssen.

Erkenntnisse aus dem Klinikalltag

Gregor Harbauer führte zahlreiche fernmündliche Gespräche oder vor der Video-Kamera. «Die Erfahrungen waren unterschiedlich, wurden im Laufe der Zeit aber immer besser», sagt der Leitende Psychologe. «Dank Online-Tools erhielt ich ein einigermassen umfassendes Bild von den Ratsuchenden. Wir sahen uns, das war angenehm.» Allerdings seien diese Gespräche im Vergleich zu einer realen Begegnung eingeschränkt. «Trotz Bild kommt vieles nicht rüber. Die Emotionen, Mimik, Gestik, Körperhaltung, Stimme und Intonation kann ich weniger genau erfassen. Eine zuverlässige Diagnostik ist in einem fernmündlichen Gespräch schwieriger. Es findet immer nur eine Annäherung statt.» Und doch: «Mein Eindruck ist gut. Die Gesprächspartner schätzten es, dass sie trotz der verordneten Schutzmassnahmen des Bundes mit uns in einen persönlichen Kontakt treten können.»

Auch Ramin Mansour führt seine Gespräche mit den poststationären Patienten seit vielen Monaten mittels einer internetbasierten Videochat-Gruppe durch. Ein eigens für therapeutische Zwecke entworfenes Konferenztool mit hoher Datensicherheit ermöglicht dies. Der Leitende Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie betreut die ehemaligen Patientinnen und Patienten nach dem Klinikaufenthalt wöchentlich über einen Zeitraum von fünf Wochen per genanntem Konferenztool. Die thematische Fokussierung liegt auf dem beruflichen Wiedereinstieg, dem Etablieren und Aufrechterhalten einer angemessenen Tagesstruktur sowie der allmählichen Steigerung der Alltagsbelastbarkeit.

Ramin Mansour sagt: «Ich war überrascht, dass auch im Online-Setting eine grosse Offenheit möglich ist. Die Menschen sprechen über Konflikte, schwierige Situationen und Emotionen, obwohl sie sich nicht kennen.» An den Online-Treffen nehmen auch ehemalige Patientinnen und Patienten teil, die in anderen Kantonen leben und denen eine Anreise aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist. Ramin Mansours Fazit der virtuellen Treffen: Grosse Reflexionstiefe, hohe Motivation, positives Feedback der Teilnehmenden.

Ich war überrascht, dass auch im Online-Setting eine grosse Offenheit möglich ist. Die Menschen sprechen über Konflikte, schwierige Situationen und Emotionen, obwohl sie sich nicht kennen.

Ramin Mansour

Die Privatklinik Hohenegg will die Formate auch in Zukunft beibehalten. «Ich bin froh um diesen Paradigmenwechsel und die neuen Online-Möglichkeiten, weil wir so auch Menschen erreichen können, die wir bis anhin nicht erreichten, Menschen mit einer Behinderung oder mit einer spezifischen Phobie», sagt Gregor Harbauer. «Fernmündliche Beratung und Therapie werden sich durchsetzen. Mehrere Studien belegen die hohe Wirksamkeit.»

Online-Fatigue mit einfachen Tipps vorbeugen

Der Paradigmenwechsel ist damit längst Realität – nicht nur wegen Corona: Distanz-Beratung über Video, wo physische Treffen aufgrund einer Behinderung, einer spezifischen Phobie oder der Entfernung nicht möglich sind. Gerade gestern ein Erstgespräch mit einem Patienten in Bangkok. „Ich habe ein paar Erkenntnisse aus dem Training Video-Kommunikation umgesetzt, z.B. direkt in die Kamera zu schauen und nicht auf das Bild des Patienten. Hat ganz gut geklappt.“ So Dr. med. Cäsar Spisla, Leitender Arzt und Schwerpunktleiter Depression. Er und weitere Kolleg:innen liessen sich kürzlich in Video-gestützter Beratung weiterbilden. Julia Kornfeind vom IAP, Institut für Angewandte Psychologie an der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften verriet, wie das allgegenwärtige digitale Erschöpfungssyndrom bei Patient:in und Therapeut:in gleichermassen ein Stück weit reduziert werden kann.

Mehrere Studien belegen die hohe Wirksamkeit von Distanz-Therapie. Und doch können virtuelle Interaktionen für das Gehirn extrem anstrengend sein. Der Grund: Mikro-Mimik, Handgesten oder Körpersprache der unteren Körperhälfte sind bei Videoanrufen kaum lesbar. Diese Hinweise helfen normalerweise dabei, ein ganzheitliches Bild davon zu vermitteln, welcher Inhalt kommuniziert und was als Antwort erwartet wird. Bei Videoanrufen fehlen diese Informationen. Sie beeinträchtigen also tief verwurzelte Fähigkeiten und erfordern stattdessen anhaltende und intensive Aufmerksamkeit für die Worte der Gesprächspartner:innen – auf beiden Seiten.

Julia Kornfeinds drei wichtigste Tipps für Video-basierte Therapie:

  • Für das Gegenüber „Augenkontakt“ durch den Blick in die Kamera erzeugen.
  • Sich selbst gut ausleuchten, vertonen und auch die Hände zeigen.
  • Kürzere Einheiten mit aktiven Pausen.

Zum Weiterlesen:

Four causes for ‘Zoom fatigue’ and their solutions

Autor*innen

  • Sabine Claus

    Leiterin Ärztliche Administration, Content-Management

  • Rolf Murbach

    Freiberuflicher Journalist und Fotograf

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