Emotionsfokussierte Psychotherapie in der stationären Behandlung

Die Emotionsfokussierte Therapie unterstützt Menschen, mit ihren Primärgefühlen wie tiefgreifende Angst, Scham und Schuld, Traurigkeit oder Einsamkeit in Kontakt zu treten und so ein Verständnis für sich und das eigene Handeln zu entwickeln. Wie diese Therapieform im klinischen Alltag ausgestaltet wird, erklärt die LeitendePsychologin Martina Derendinger im Interview.

In der Emotionsfokussierten Therapie werden tiefliegende Emotionen und die Ursprünge emotionaler Verletzungen erkundet.

Foto von Puwadon Sang-ngern auf Pexels

Martina, was sind deine beruflichen Wurzeln als Psychotherapeutin?

Einerseits sind es systemische Haltungen und Techniken aus meinem früheren Beruf als Organisationsberaterin und Coach und andererseits kognitiv behaviorale Ansätze aus meiner langjährigen Tätigkeit als Psychotherapeutin, die mich bis heute in meiner klinischen Arbeit mit Patienten prägen. Es hat mich schon immer interessiert mit Menschen gemeinsam zu erforschen, warum sie so sind, wie sie sind, was sie tief bewegt und antreibt. Und je länger ich in diesem Beruf arbeite, desto zentraler erscheint mir die Arbeit mit Emotionen. Früher habe ich mehr mit Techniken, Listen, kognitiver Umstrukturierung, Umgehen mit aversiven Gefühlen lernen, Expositionen anleiten etc. gearbeitet, eher streng nach der Kognitiven Verhaltenstherapie, um Menschen zu befähigen ihre psychischen Störungen zu bewältigen. Ich habe mit ihnen stärker an ihren Gedanken und ihrem Verhalten gearbeitet, sehr lösungsorientiert und dann habe ich in Bern die Emotionsfokussierte Psychotherapie (EFT) nach Leslie S. Greenberg und bei Imke Herrmann in München für mich entdeckt. Prof. Greenberg ist der Begründer der Emotionsfokussierten Therapie und hat langjährige Prozessforschung in Toronto, Kanada betrieben und darin Techniken des Stuhldialoges aus der Gestalttherapie und dem Psychodrama integriert. Für seine Verdienste erhielt er im Jahr 2012 sogar den „Award for Distinguished Professional Contributions to Applied Research“ der American Psychological Association, die höchste Auszeichnung für angewandte Forschung.

Kannst Du uns beschreiben, um was es in dieser Therapieform geht?

Ich habe mit der EFT einen Weg gefunden Menschen zu befähigen mit ihren Primärgefühlen, wie tiefgreifende Angst, Scham und Schuld, Traurigkeit oder Einsamkeit in Kontakt zu treten und so Verständnis für sich, für ihr Handeln zu entwickeln, wir sprechen hier von einer emotionsaktivierenden Technik und der Frage: Worum geht es bei mir emotional eigentlich, wenn ich psychotherapeutische Hilfe suche? Was steht mir im Weg? Was hindert mich? Welche Emotionen dominieren mich? Auf einer tiefen emotionalen Basis mit Betroffenen zu arbeiten, ihre maladaptiven Emotionen zu aktivieren und endlich besprechbar machen zu können: Dann fliessen endlich auch Tränen in der Psychotherapie, Selbstmitgefühl zeigt sich, tiefe Emotionen werden akzeptiert, können symbolisiert, reguliert, reflektiert und transformiert, Spannungen dürfen sich lösen. Es geht in den Sitzungen darum den eigenen Kernschmerz bewusst wahrzunehmen, zu erleben und ihm Platz zu geben und nicht nur über ihn zu sprechen und rasch zu bewältigen, das erscheint mir hier zentral. Durch diese Art der Arbeit wird das emotionale Spektrum und Erleben erweitert und Bedürfnisse können formuliert werden, ohne immer wieder in alten Mustern verhaftet zu sein. Als begleitende Psychotherapeutin navigiere ich empathisch Betroffene durch ihren gesamten tiefen Emotionsprozess, exploriere und verstehe, lenke Aufmerksamkeiten. Elliott spricht hier vom Psychotherapeuten als „Surrogate information processor“ (Elliot 2008), ich biete mich als Begleiterin durch den emotionalen Fluss an, gebe Halt und kontrolliere den Prozess.

Als begleitende Psychotherapeutin navigiere ich empathisch Betroffene durch ihren gesamten tiefen Emotionsprozess, exploriere und verstehe, lenke Aufmerksamkeiten.

Dipl. Psych. Martina Derendinger

Wie sieht die Einzelsitzung praktisch aus?

Zunächst exploriere ich mit den Patienten ihre emotionalen Schemata mit maladaptiven Primärgefühlen und lasse mich wenig von Sekundärgefühlen wie Wut, Ärger oder Anklagen beeindrucken. Meiner Erfahrung nach interessiert auch die Patienten viel mehr, was da emotional tiefer bei ihnen liegt, wo die emotionale Verletzung liegt, was ihre Ursprünge sind und Bedürfnisse frustriert bzw. nicht befriedigt wurden. In einem nächsten Schritt arbeite ich sehr häufig mit der Zwei-Stuhl-Dialog-Technik, beispielsweise für selbstkritische Prozesse, Hoffnungslosigkeit oder angsterzeugende Prozesse, wie „ich habe versagt“ oder „ich mache zu wenig“ oder „ich fühle mich wertlos, deprimiert“. Durch den Zwei-Stuhl-Dialog werden kritische Selbstanteile mit dem erlebten Selbst offen konfrontiert, sie führen einen echten Dialog mit sich. Meine Patienten wechseln tatsächlich die Positionen von einem Stuhl zum anderen und wieder zurück, mehrfach, das ist auch körperliche Arbeit für sie. Als Therapeutin frage ich die kritische Seite empathisch, wie sie dafür sorgt, dass das Gegenüber daran gehindert wird etwas zu schaffen oder sich schuldig oder klein zu fühlen und ermutige differenziert auszusprechen was weh tut und was man jetzt am liebsten tun würde, aber validiere auch den echten Schmerz, den viele sich bisher nicht trauten auszusprechen. Frage immer auch beide Seiten, was mit ihnen passiert, lasse abwertende Anteile laut aussprechen und zu Ende sprechen, was wir ja sonst vermeiden, wenn es so richtig weh tut. Und erst wenn die Betroffenen bei ihrem Kernschmerz angekommen sind, ihn wirklich fühlen dürfen, dann erst versuche ich in die Transformation oder in den Aushandelsprozess der beiden Anteile zu gehen und Wünsche oder Bedürfnisse zu eruieren, die weicher machen und versöhnlicher.  Im therapeutischen Arbeiten entsteht häufig so für Beide ein befriedigendes Flow Erlebnis. Es gibt dann auch noch den Leerer-Stuhl-Dialog für unfinished business, also unabgeschlossene Prozesse, wie negative oder traumatische, wiederholte Bedürfnisfrustrationen in der Interaktion mit bedeutsamen Bezugspersonen, z.B. Eltern, Partner.

Hast Du ein praktisches Beispiel?

Ja gerne. Ein junger Mann, der beruflich eine prima Karriere gemacht hatte als Geschäftsführer, aber tief im inneren über lange Jahre Selbstzweifel hegte, sich seit Jugend ungenügend erlebte aufgrund seines ADHS und diese zusammen mit den Sekundärgefühlen allen Gefallen zu wollen und immer für gute Laune sorgte, egal was passierte, überdeckte und nun mit Mitte Vierzig in ein Burnout rutschte mit hohen resignativen Anteilen, kam zu mir in die stationäre Behandlung. Er arbeitete im Zwei-Stuhl-Dialog seine primär maladaptiven Gefühle von Scham „Ich genüge nicht“ und Schuld gegenüber der Mutter heraus, die ihn kritisch versucht hatte immer wieder zu fokussieren, was ihm aufgrund seines ADHS nicht gelingen konnte, er vergoss Tränen über sein Gefühl von Wertlosigkeit, die selbstkritischen Anteile nahmen wir immer wieder heraus und setzten sie auf den anderen Stuhl, später dann auch die kritischen Anteile der Mutter. Zunehmend stellte sich Selbstmitgefühl ein, was er als sehr heilsam erlebte. Als Bedürfnis konnte er dann mit seinem kritischen Selbst aushandeln, sein ADHS auch leben zu dürfen, dann war er gerne im „Kasperl-Modus“, wie er es nannte, ging beispielsweise viel bewusster in Clubs und Festivals tanzen, nahm sich vor Kurzauszeiten zu nehmen oder konnte auch wieder den sorgenden, liebevollen Anteil der Mutter hören. Wir erarbeiteten auch heraus, wie er dies mit seiner Tätigkeit als Geschäftsführer in Einklang bringen konnte, welche Informationen seine Geschäftsführerkollegen benötigen, um ihn zu fördern oder auch zu schützen vor Überforderung, welche Vorteile Hyperaktivität haben können und nicht nur als schmerzhaftes Defizit überdeckt werden müssen. Der tief aufwühlende Prozess streckte sich etwa über 14 Tage, die gesamte Dauer der stationären Behandlung über fünf Wochen, die ambulante Weiterbehandlung plante er zur weiteren Stabilisierung und Begleitung zu nutzen.

Warum passt die Emotionsfokussierte Psychotherapie Deiner Meinung nach so gut in die Privatklinik Hohenegg?

Der wohl wichtigste Erfolgsindikator unserer Arbeit mit den Patienten liegt in der Qualität der Beziehungsgestaltung und die EFT mit ihrem Fokus auf eine empathische therapeutische Beziehung scheint mir hier die passende Technik zu sein, um Menschen in ihren emotionalen Krisen eng begleiten zu dürfen und psychische Gesundheitsprozesse zu fördern. Dafür haben wir Ärzte und Psychologen drei psychotherapeutische Einzelgespräche pro Woche mit den Patienten zur Verfügung, das ist für stationäre und auch ambulante Angebote sehr viel Zeit. Zudem wird im Kontextmodell der Hohenegg Klinik die Plausibilität der Behandlung immer wieder betont und in all unseren Angeboten praktiziert. Mittels EFT kann ich die innerpsychische emotionale Plausibilität verdeutlichen, ich finde, eine wichtige Ergänzung.

Was sind Kontraindikationen für die EFT?

Die EFT sollte nicht angewendet werden bei schwer fragilen Persönlichkeiten, wie Borderline-Persönlichkeitsstörungen oder schwere narzisstische Störungen, ebenso bei Suizidalität, Drogenmissbrauch oder selbstverletzendem Verhalten. Aber auch wenn die therapeutische Beziehung instabil ist, wäre diese Technik nicht mein Mittel der Wahl.

 

Was sind Deine Ressourcen, um resilient zu bleiben und Deinen Horizont zu erweitern? Die Psychotherapie klingt nach intensiver Arbeit so wie Du sie oben beschreibst.

Moderne Kunst: Malerei, Fotografie, Moderner Tanz. Ich gehe sehr gerne in Museen und Galerien, ins Theater, wechsle sehr gerne die Perspektive und bekomme hier die stärksten Impulse, wie man einfache Dinge des Alltags oder die grossen Themen des Lebens auch noch sehen und ausdrücken kann. Humor finde ich eine wichtige Ressource für mich, die ich beispielsweise in der Kunst der Schweizer Fischli & Weiss, Beni Bischof oder dem deutschen Künstler Martin Kippenberger finde. Dann mache ich gerne Sport draussen in der Natur und versuche auch ab und zu mich selbst zu überraschen, was Neues zu wagen, mich und meine Gewohnheiten in Frage zu stellen.

Interview: Sabine Claus

Literatur

  • Greenberg, Leslie: Emotionsfokussierte Therapie (Wege der Psychotherapie), 2. Auflage 2016, München: Ernst-Reinhard-Verlag
  • Auszra, L., Herrmann, I.R. & Greenberg, L.S.: Emotionsfokussierte Therapie. Ein Praxismanual, 2016, Göttingen:Hogrefe
  • Greenberg, L.S.: Emotionsfokussierte Therapie: Lernen mit den eigenen Gefühlen umzugehen, 2002/2006, Tübingen: dgvt-Verlag

 

 

 

Autor*innen

  • Dipl. Psych. Martina Derendinger

    Leitende Psychologin Privatklinik Hohenegg

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