Psychosomatische Erkrankungen sind wie Schatten, die Körper und Seele gleichermassen durchdringen. Sie verweben Emotionen mit physischen Reaktionen, lassen sich nicht greifen, und doch sind sie allgegenwärtig. Der Fall von Herrn M. zeigt, wie tief sich seelische Belastungen in den Körper einschreiben – und wie eine interprofessionelle Herangehensweise helfen kann, das Gleichgewicht wiederzufinden.
Vom Perfektionismus zur Erschöpfung
Herr M., ein ehemaliger Bankangestellter, hatte sein Leben lang Leistung über alles gestellt. Struktur, Kontrolle, Verantwortung – sie waren sein Halt. Doch irgendwann kippte das Gleichgewicht. Erst waren es Schlaflosigkeit, Herzklopfen, Schweissausbrüche, dann kamen Erschöpfung und ein seltsames Kribbeln, als laufe ihm Strom über den Rücken. Er fühlte sich ausgelaugt, zerbrechlich, sprach von einem «rohen Ei», das jederzeit zerbrechen könnte.
Sein Leben war geprägt von Pflichten. Schon in der Kindheit fehlte emotionale Sicherheit, früh lernte er, sich selbst zu genügen. In der Karriere wurde Anpassung zur Tugend, Leistung zur Bestätigung. Doch mit den Jahren wuchs die Erschöpfung. Die Freude wich der Pflicht, das Leben wurde zu einer Last. Als der Körper schliesslich versagte, blieb ihm nichts als der Rückzug.
Kombination verschiedener Therapieformen
In der stationären Therapie zeigte sich schnell: Eine rein symptomatische Behandlung würde nicht genügen. Es brauchte eine Herangehensweise, die Körper und Geist gleichermassen einbezog. Ein interprofessionelles Team entwickelte ein Konzept, das psychiatrische, psychotherapeutische und körperzentrierte Ansätze vereinte. In der Psychotherapie lernte er, seine Erschöpfung nicht als persönliches Versagen zu sehen. Kognitive Techniken halfen ihm, alte Muster zu erkennen, die ihn immer wieder in die Überforderung trieben. Psychoedukation machte ihm bewusst, wie tief Stress und körperliche Symptome miteinander verwoben waren.
Medikamentös wurde sein Nervensystem stabilisiert. Duloxetin half, seine Stimmung auszugleichen, Pregabalin reduzierte die vegetative Übererregung, Quetiapin erleichterte den Schlaf. Ergänzend kamen pflanzliche Präparate zum Einsatz, um seinen Körper sanft zu unterstützen. Doch Worte allein konnten ihn nicht zurück ins Leben führen. Sein Körper musste sich erinnern, wie sich Sicherheit anfühlt. Atemtherapie, Shiatsu, behutsame Bewegung – all das half ihm, seine eigene Körperlichkeit wieder als Ressource zu erleben. Bewegung wurde langsam aufgebaut, nicht als Pflicht, sondern als Möglichkeit, Vertrauen in sich selbst zurückzugewinnen. Mit der Zeit zeigten sich erste Veränderungen. Die vegetativen Symptome traten seltener auf, die Schlafqualität verbesserte sich, die Erschöpfung wurde weniger erdrückend. Doch das Entscheidende war die Veränderung in seiner Haltung. Seine Partnerin bemerkte es zuerst: Sein Blick war klarer, seine Präsenz spürbarer. Zum ersten Mal seit langer Zeit schien er nicht nur mit seinen Symptomen zu leben, sondern mit sich selbst.
Die Entlassung war kein Ende, sondern ein Übergang. Die ambulante Therapie wurde fortgesetzt, um die neuen Strategien zu vertiefen. Regelmässige psychotherapeutische Sitzungen
sollten verhindern, dass er in alte Muster zurückfiel. Die Medikation wurde weiter überwacht, Bewegung und Achtsamkeit als fester Bestandteil seines Alltags etabliert.
Der Fall von Herrn M. zeigt, dass psychosomatische Störungen mehr als ein medizinisches Problem sind. Sie verlangen eine Behandlung, die den Menschen in seiner Gesamtheit sieht. Nur durch die enge Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen konnte er den ersten Schritt in eine neue Richtung machen – einen Weg, auf dem nicht länger seine Symptome im Mittelpunkt standen, sondern er selbst.