Publikum des Symposium 2022

Höhepunkte und Impressionen des Hohenegger Symposiums 2022

Am 6. Oktober haben wir unter dem Motto «Gute Behandlung in Psychiatrie, Psychotherapie und Psychologie» den schönen historischen Jürg­-Wille-­Saal im Gasthof zum Löwen in Meilen am Zürichsee belebt: mit acht Vorträgen und rund 170 Teilnehmenden vor Ort sowie im Livestream. Zu Gast am Rednerpult: Ärztinnen, Wissenschaftler, ein ehemaliger Patient, eine Angehörige und eine externe Expertin. Sie alle teilten einschlägiges Wissen und dachten – gemeinsam mit dem Publikum – nach: über den Kern guter Behandlung, das Scheitern und die Identität als Therapeut / in, über Placebo und den Einbezug von Angehörigen.

Der neue Ärztliche Direktor Josef Jenewein eröffnete die von unserer Leitenden Ärztin Katrin Merz moderierte Veranstaltung, bevor sein Vorgänger Stefan Büchi aus der mediX Gruppenpraxis in Zürich ein Rahmenmodell aller Kontextfaktoren vorstellte. Für den Therapieerfolg sei die Einschätzung der Patientin in Bezug auf die fachliche Kompetenz (Expertise), die Verständlichkeit des therapeutischen Prozesses (Plausibilität) sowie die Vertrauensbeziehung zum Therapeuten (Beziehung) entscheidend. «Das ‹Wie› in der Therapie ist also mindestens so wichtig wie das ‹Was›», betonte Stefan Büchi. «Nur Mitarbeitende, die sich sicher fühlen und sich mit den gelebten Werten der Organisation identifizieren, können den Patientinnen und Patienten Sicherheit und Vertrauen vermitteln», sagte der ehemalige Chefarzt, der mit grossem Applaus für sein Engagement in der Hohenegg gewürdigt wurde.

Cosima Locher vom Universitätsspital Zürich nahm das Publikum mit auf eine Reise durch ihr Fachgebiet – die Placebo­Forschung. Ihr Vortrag änderte den Blickwinkel: Sie legte den Fokus nicht auf die pharmakologischen Effekte eines Medikamentes, sondern auf die Kontextfaktoren, denen eine erhebliche Bedeutung zukäme. Die meisterforschten Aspekte seien die Erwartungen der Patientinnen und Patienten, die Interaktion zwischen Patient und Behandlerin sowie das zugrun ­ deliegende Narrativ. Die Forscherin stellte spannende Beispiele vor, die zeigten, dass Opioide deutlich besser wirken, wenn Patienten den genauen Zeitpunkt der Wirkstoff­-Verabreichung kennen. Wie die vorgestellten Kontextfaktoren auf ethische Weise genutzt werden können, erläuterte sie am Konzept der offenen Placebo­-Vergabe.

Peer Abilgaard, Chefarzt der Klinik für Seelische Gesundheit an den Evangelischen Kliniken Gelsenkirchen, liess uns mit musikalischen Einspielungen das Wesen des Scheiterns erleben. Ein hoher Selbstanspruch in helfenden Berufen hätte seine Schattenseiten: «Er macht uns verletzlich dafür, an den eigenen inneren Ansprüchen zu scheitern», betonte der Musikmediziner. Sich selber und seinen Patienten ein Recht auf Scheitern zuzusprechen, könne auch als Fürsorge und Selbstfürsorge verstanden werden und sei essentiell, die intrinsische Motivation, die Freude und Überzeugung für den Therapeutenberuf zu bewahren.

Das Gespräch sei ein wichtiger Baustein der guten Behandlung. Warum das so ist und welches die wesentlichen Merkmale eines gelungenen Gespräches sind, entfaltete der Medizinethiker der Universität Freiburg, Giovanni Maio. Das Gespräch sei immer ein Wagnis; man wisse nicht, wie man aus dem Gespräch herauskommen würde. Aber wenn es ein echtes Gespräch war, dann komme man anders heraus, als man hineingegangen sei, so Maio. Echte Gespräche können sich nur auf der Grundlage einer behutsamen Herangehensweise ereignen, mit der man das Gespräch weniger führt und lenkt, sondern dem Gespräch selbst die notwendige Freiheit lässt.

Jens Gaab von der Universität Basel betonte, dass eine gute Behandlung evidenz­basiert sei. Auf der Basis eines evolutionspsychologischen Verständnisses der Behandlung und unter Einbezug der wissenschaftlichen Evidenz zu Behandlungen, die eigentlich keinen Effekt haben sollten, zeigte er auf, dass beispielsweise Zuwendung zur Behandlung wird, wenn sie absichtlich erfolgt und eine Behandlung dann zu einer guten Behandlung wird, wenn sie absichtlich mit Zuwendung erfolgt.

Um Synergien eines multimodalen Behandlungskonzepts zu nutzen, seien therapeutische und organisatorische Aspekte relevant, erläuterte Felicitas Sigrist, Leitende Ärztin und Leiterin der Angebotsentwicklung in der Hohenegg. Sie verdeutlichte, dass unterschiedliche therapeutische Herangehensweisen, praktiziert von Fachpersonen diverser Professionen, auf ein gemeinsames Therapieziel ausgerichtet seien müssen. Rollenklarheit gegenüber den Patientinnen sei ein wichtiger Erfolgsfaktor interprofessioneller Behandlungsteams, betonte sie.

Unser stellvertretender Ärztlicher Direktor Sebastian Haas war nur kurz allein auf der Bühne. Der Systemiker präsentierte zunächst einen therapeutischen Kompass, um sich in den Wirklichkeits-­ und Möglichkeitsräumen des Systems zu orientieren. Nachdem er dargestellt hatte, dass psychiatrisch­-psychotherapeutisches Arbeiten immer in einem realen sozialen Kontext stattfinden würde, lud er den ehemaligen Patienten Daniel Wenger mit dessen Partnerin zu sich aufs Podium ein. Angehörige seien Mit­-Betroffene und Beteiligte an der Entstehung und Aufrechterhaltung von Problemen, aber auch deren potenziellen Lösungen. So betonte das Ehepaar Wenger, dass Angehörige für gute Behandlung eine Schlüsselrolle innehätten und ermutigten Betroffene, Einfluss zu nehmen. Als weiteren Gast betrat Lisa Bachofen von der VASK Bern (Vereinigung Angehöriger psychisch Kranker) die Bühne. Neben Betroffenen können sich neu auch Angehörige zu Peer­-Experten ausbilden lassen. Das Erfahrungswissen solcher Peers könne neue Zugänge zu Patienten sowie deren Angehörigen ermöglichen, sagte Lisa Bachofen.

Paul Hoff, ehemaliger stv. Klinikdirektor an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der PUK (Psychiatrische Universitätsklinik) Zürich beendete die Vortragsreihe. «Seit ihrer Entstehung als wissenschaftliche Disziplin im Gefolge der Aufklärung im 18. Jh. ringt die Psychiatrie mit ihrer Identität», so Hoff. Seine Schlussfolgerungen:

  1. Das «bio­psycho­soziale Modell» müsse den unvoreingenommenen wissenschaftlichen Austausch zwischen den als eigenständig respektierten Domänen stimulieren.
  2. Die Psychiatrie sei mehr als andere Bereiche des Gesundheitswesens mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verknüpft.
  3. Hilfreich für Behandelnde sei ein neugieriges Interesse an Menschen, Respekt vor der anderen Person, Fähigkeit zu mehrdimensionalem wissenschaftlichem Denken sowie Reflexions-­ und Veränderungsbereitschaft als Bestandteile des eigenen Wertehorizontes.

Die litauischen Pianistinnen Austeja Valusyte und Emilia Shukyte begeisterten mit ihrem virtuosen vierhändigen Spiel das Publikum. Ein weiterer Höhepunkt war die Vorstellung des druckfrischen Buches «Gute Behandlung in Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Ein Wegweiser für den Berufseinstieg», erschienen im Hogrefe Verlag. Die vier anwesenden Herausgeber / innen Peer Abilgaard, Stefan Büchi, Sabine Claus und Cosima Locher überreichten allen Gästen ein Exemplar als Geschenk.

Autor*innen

  • Sabine Claus

    Leiterin Ärztliche Administration, Content-Management

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